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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Werner
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Bruttolöhne erhöhen, dann erhöhen sich die Produktionskosten und – weil Unternehmer rechnen können – erhöhen sich am Ende auch die Preise.
    Es trägt also in unserem System nicht derjenige die Steuern, der sie bezahlt. Es trägt sie der Konsument. Alle Steuern, die eine Café-Besitzerin abführen muss, hat sie in die Preise ihres Latte macchiato einkalkuliert. Es gibt dazu eindrucksvolle Berechnungen, wie viel Steuern in einem solchen Getränk enthalten sind. Das macht unterm Strich mehr als die Hälfte des Preises aus.
    Bis hierhin können mir die meisten Menschen noch folgen. Schwieriger wird es, wenn ich daraus schließe, dass wir uns dieses ganze komplizierte Verrechnungssystem von dieser und jener Steuer und dieser und jener Steuerbefreiung sparen könnten, sondern genauso gut gleich eine fünfzigprozentige Konsumsteuer erheben könnten – und alle anderen Steuern abschaffen. Da ist das Gekreische meist groß: Was? Der Kaffee soll 50 Prozent teurer werden? Nein, sage ich dann, er bleibt genauso teuer, wie er ist. Nur wird jetzt sichtbar, dass in dem Kaffee – wie jetzt schon! – 50 Prozent Abgaben an die Gemeinschaft enthalten sind. Deswegen zahlt ja auch der Hartz IV-Empfänger jede Menge Steuern, obwohl er am Jahresende keine Steuererklärung machen kann und es immer heißt, er würde dem Staat nur auf der Tasche liegen. Aber nein, selbst der obdachlose Punker auf der Straße, der mit dem Staat nichts zu tun haben will, zahlt Steuern. Nämlich dann, wenn er sich von dem erbettelten Geld ein Mettbrötchen und einen Milchkaffee kauft. Im Preis enthalten sind jede Menge Steuern. Die Mehrwertsteuer ist offensichtlich, dazu kommen aber anteilig die Lohnsteuern all derer, die an dem Brötchen und dem Kaffee mitgearbeitet haben: die Verkäuferin, der Metzger, der Bäcker, ja, selbst die Einkommenssteuern des Bauern, der den Weizen vom Feld geholt hat, sind in den Preis für das belegte Brötchen eingerechnet. Ebenso die Gewerbesteuern, die Stromsteuern, die Feuerschutzsteuer, die Milchgarantiemengenabgabe, die Mineralölsteuer, die Agrarabgaben, die diversen Zölle, die zu zahlen sind, wenn auch nur eine der Zutaten über die deutsche Landesgrenze transportiert wurde – in Mettbrötchen und Milchkaffee verstecken sich 37 mögliche Steuerarten.
    Wenn man es so detailliert aufschlüsselt, verstehen das alle. Vor allem die Politiker, aber die haben kein Interesse daran, das System zu verändern. Denn wenn die Menschen wüssten, wie viel Steuern sie bezahlen, dann wollen sie möglicherweise genauer wissen, was mit dem vielen Geld eigentlich passiert. Transparenz erhöht das Widerspruchsrisiko. Ich sage: Transparenz ist die Haupttugend einer Führungskraft. Aber das ist anstrengend. Man muss nämlich transparent machen, worum es geht.
    Es wird lieber schnell auf die nächste Denkhürde verwiesen, die tatsächlich für die meisten eine gedankliche Herausforderung darstellt: Wenn wir nämlich alle Steuern bis auf die Konsumsteuer (auch Mehrwertsteuer genannt) abschaffen, dann heißt das: Niemand muss mehr Einkommenssteuern bezahlen. Das finden die meisten Menschen im ersten Moment ganz verlockend, weil sie denken: »Ach prima, dann bleibt von meinem Gehalt mehr übrig.« Aber im nächsten Moment erschrecken sie, weil ihnen einfällt, dass dann ihr Nachbar auch keine Einkommenssteuern mehr zahlen muss und auch ihr Chef nicht. Und auch der Herr Bankdirektor nicht. Und all die vielen Millionäre nicht. Denn es muss ja niemand Einkommenssteuern bezahlen. Und das finden sie dann furchtbar ungerecht.
    Knospenfrevel Einkommenssteuer
    Der Irrtum besteht darin, dass die Menschen meinen, sie würden von dem leben, was sie verdienen. Aber das tun wir nicht. Niemand lebt von dem, was er verdient.
    Ich habe auch sehr lange gebraucht, um begreifen zu können, was Benediktus Hardorp in so kluger Weise vorgedacht hat. Aber wenn der Groschen einmal gefallen ist, dann ist es ganz leicht. Dann kann man das gar nicht mehr anders sehen. Es ist wie bei diesen Vexierbildern, in dem in einem oberflächlich sichtbaren Bild ein zweites versteckt ist, das man erst bei genauem Hinsehen erkennt. Etwa der schwarze Schattenriss von zwei sich gegenüberstehenden Menschen, der sich auf den zweiten Blick als weiße geschwungene Vase entpuppt. Oder die Zeichnung eines Totenkopfs, die in Wahrheit das Bild von einem jungen Liebespaar ist.
    So ähnlich changieren zwei Bilder unserer Gesellschaft: das Bild von der Selbstversorgergesellschaft und das

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