Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
»goetheanistisch«. Denn Goethe hat genau dieses Denken ins Zentrum seiner Metamorphosenlehre gestellt: Eine Pflanze wächst, wie es ihr Urtypus vorgibt. Blätter, Blüten und so weiter entfalten sich immer gleich, nur durch die Einflüsse der Umgebung geringfügig variiert. Die Metamorphose folge quasi einem Plan, einer übersinnlichen Idee, von der die Pflanze selbst nichts weiß. Ein Tier habe darüber hinaus ein beseeltes Innenleben, das sich durch instinkt- und triebhaftes Verhalten kundtut. Eine Giraffe wird als Giraffe geboren und stirbt als Giraffe, ohne es zu wissen. Der Mensch aber hat darüber hinaus die Fähigkeit, an diesem Geistigen bewusst teilzunehmen.
Im Gegensatz zum Tier muss der Mensch nicht tun, was Instinkte und Triebe ihm vorgeben. Er kann sich frei davon machen und sein Leben bewusst auf das übergeordnete Geistige ausrichten. Deswegen sind die Geisteswissenschaften so wichtig. Die Aufgabe der Naturwissenschaften ist in erster Linie, zu konstatieren, was sich der menschlichen Erfahrung darbietet (Empirie) – das, was ist. Im Gegensatz dazu stehen die Geisteswissenschaften, die erfassen, was sich durch das menschliche Denken erschließen lässt – das, was sein soll. Wissen ist wichtig. Der Mensch ist ein Wesen auf der Suche nach Sinn. Er braucht eine spezifische Aufgabe, die darauf wartet, von ihm gelöst zu werden. Er lebt in Hingabe an eine solche Aufgabe!
In diesem Kreis kommen lauter Unternehmer zusammen, die ihr Denken nicht als selbstverständlich hinnahmen, sondern versuchten, der Reflexion bewusst Zeit und Raum zu geben. Es ist verblüffend, sich hin und wieder beim Denken zu beobachten – in welchen Schablonen das abläuft, welche Denkgewohnheiten sich ausgebildet haben und welche Gedanken unentwegt aufblitzen. Als tatkräftiger Mensch, als Unternehmer erlebt man sich im Machen, im Managen, in der Aktion, aber ungern in der Reflexion. Aber man lernt weniger aus den Fehlern der Vergangenheit, sondern eher im gemeinsamen Reflektieren von Erfolgen. Dieses Denken kann man bewusst übernehmen und sich zur Gewohnheit machen: Rückschau halten auf den vergangenen Tag, wie das Zähneputzen vor dem Zubettgehen.
Es gibt ein schönes Buch von Sten Nadolny, »Die Entdeckung der Langsamkeit«, das ich mit großer Begeisterung gelesen habe. Immer dann, wenn man sich mit etwas Neuem auseinander setzen will – und das geht durch Beobachten und Wahrnehmen –, dann muss man erst einmal verlangsamen. Das ist nicht passiv, sondern das ist eine Steigerung der Aktivität! Das Verlangsamen, das Innehalten – heute sagt man auch Entschleunigung – ist das, was Führungskompetenz ausmacht. Derjenige, der sagt: »Oh Klasse, raus, da fangen wir gleich an« klingt gut, dynamisch, aktiv usw., hat aber im Grunde keine Führungskompetenz. Die Führungskraft muss den Überblick gewinnen, das Wesentliche vom Unwesentlichen trennen und dann im passenden Moment das Richtige tun – oder unterlassen. Denn unternehmerisches Handeln besteht sowohl im Tun als auch im Lassen.
Steuern sind das Einkommen der Gemeinschaft
Benediktus Hardorp schaut mit dieser Denkweise auf das ganze Geldsystem, auf das ganze Währungssystem und auch auf das ganze Steuersystem. Die meisten Menschen denken nur in einer Hinsicht über Steuern nach: Wie kann ich Steuern sparen? Die wenigsten fragen: Warum oder wozu zahle ich eigentlich Steuern?
Aber genau dieses Wozu stand immer wieder im Mittelpunkt unseres Gespräches. Die Antwort, die wir fanden, hieß: Steuern sind notwendig, damit die Gemeinschaft ein Einkommen hat!
Die Preise, die unsere Kunden bei dm bezahlen, sind das Einkommen von dm, also tatsächlich die vorstrukturierte Einkommensbildung aller Menschen, die unmittelbar und mittelbar für dm tätig sind. Wenn die Menschen nicht bereit sind, die entsprechenden Preise zu bezahlen, dann können wir bei dm unsere Leistung nicht erbringen und wir müssen sie reduzieren. Dann verarmt die Leistung. Das ist ja das Problem einer jeden Verbilligung.
Nicht anders verhält es sich mit Steuern. Die Abgaben, die wir zahlen, sind das Einkommen der Gemeinschaft. Wenn wir die Abgaben nicht mehr tätigen, kann die Gemeinschaft keine Leistungen mehr erbringen. Wenn wir also wollen, dass es Schulen, Straßen und öffentliche Gebäude gibt, dann sind wir gut beraten, dafür auch zu bezahlen. Allerdings gilt auch für den Staat, was für den Händler gilt:
Die beiden Tugenden des Unternehmers sind Verlässlichkeit, das ist die Grundtugend,
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