Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
1967 machen!« Das Ganze war ein Blindflug im dichten Nebel. Aber mein Vater gab sich gelassen. »Arbeite dich erst mal in Ruhe ein. Da wirst du sehen, wie das bei uns geht.«
Es musste etwas passieren! Deswegen suchte ich das Gespräch mit ihm. Zunächst vorsichtig, irgendwann mit großer Vehemenz. Es war Anfang, Mitte Januar, als ich bei ihm im Büro stand und nach einer halben Stunde Vorgeplänkel schließlich in aller Deutlichkeit die Lage auf den Punkt brachte: »Du, Vati, wenn du so weitermachst, gehst du pleite. So wirst du das 100-jährige Jubiläum nicht mehr erreichen!«
Das erfreut den 66-jährigen Vater natürlich nicht, wenn der 24-jährige Sohn ihm sagt, dass er in spätesten einem Jahr Pleite macht. Das Jubiläum stand nämlich 1970 ins Haus, also in genau 12 Monaten. Dieser Satz brachte meinen Vater derart auf die Palme, dass ich zwei Stunden später auf der Straße stand.
Peng. Ein Lebenstraum platzt
Da war ich nun jahrelang durch Deutschland getingelt, also Konstanz, Wuppertal, Saarbücken und Hannover, in Vorbereitung auf die Übernahme in Heidelberg. Und jetzt war binnen weniger als einer Stunde mein ganzer Lebenstraum geplatzt. Peng.
Ich hatte keine Zeit, lange mit mir oder der Situation zu hadern. Zwar hätte ich mir Vorwürfe machen können, etwa dass ich vielleicht diplomatischer mit ihm hätte umgehen müssen und dass meine Situation nur die Konsequenz aus meinem Ungestüm war. Aber ich hatte immer schon ein gesundes Selbstbewusstsein. Durch das Rudern war es noch stabilisiert worden. Es gab kaum etwas, womit ich mich auf Anhieb zufriedengeben mochte. Immer fragte ich erst: »Müssen wir das wirklich so machen? Oder können wir das nicht auch anders machen?« In meinen Augen ist es nach wie vor ein gutes Prinzip, sich nie mit der ersten Antwort zufriedenzugeben. Aber in den Augen von autoritär denkenden Lehrern und Vorgesetzten trägt es einem schnell den Ruf einer rebellischen Grundnatur ein. Als meine Mutter mal meinen Konstanzer Lehrchef, Herrn Kühn, fragte: »Wie ist das denn so mit meinem Sohn?«, seufzte er: »Der hat auf alles eine Gegenfrage.« Meine Mutter nickte: »Ja, das kenne ich.« Darauf der Kühn: »Deswegen nenne ich ihn auch immer einen u. U. – einen unangenehmen Untergebenen!«
Wo sollte ich jetzt hin? Das Einzige, was ich konnte, war Zahnpasta. Damit war klar, dass ich mir eine andere Drogerie suchen musste, deren Inhaber bereit war, einen »u. U.« zu ertragen, oder der meinem Wissen und meinen Ideen vielleicht sogar etwas abgewinnen konnte.
In dieser Situation erinnerte ich mich an die Drogerie Roth in Karlsruhe. Mit deren Inhaber kooperierte mein Vater schon seit längerer Zeit immer mal wieder. Die Drogerie Roth hatte etwa zwölf Filialen, aber obendrein noch ein Chemikaliengeschäft. Der Sohn des Inhabers war etwa zwanzig Jahre älter als ich und hatte sich für ein naturwissenschaftliches Studium entschieden, promoviert und inzwischen die kleine Chemikalienfabrikation ausgebaut. Für die Drogeriefilialen suchte Carl Roth, der inzwischen auf die Achtzig zuging, noch einen geeigneten Nachfolger. Seine ursprüngliche Idee war gewesen, dass man die Heidelberger und Karlsruher Filialen zusammenlegt, wenn erst »der Werner junior« kommt. Nun würde der Junior aber nicht kommen, jedenfalls nicht nach Heidelberg. Deswegen fuhr ich kurzerhand nach Karlsruhe, erklärte ihm meine Situation, und schon 14 Tage später, nämlich am 1. Februar, begann ich bei Roth das, was ich in der Drogerie Werner nicht machen durfte: den Laden zu reorganisieren.
Dabei habe ich dann fleißig all das zum Einsatz gebracht, was ich aus Hannover mitbekommen hatte – aus heutiger Sicht wahnsinnig dilettantisch, aber im Rahmen meiner damaligen Möglichkeiten beharrlich bemüht und bescheiden in der Erfolgserwartung.
Das Geschäft meines Vaters gab es zwar noch etwas länger, als ich prophezeit hatte, aber leider kam die Drogerie Werner noch vor dem hundertjährigen Jubiläum in die von mir vorausgesagten Schwierigkeiten. Weil ich noch Kommanditist in der Firma meines Vaters war, tauchte eines Tages ein Investor bei mir auf, Helmut Nießner. Ein imposanter Mann, Typ Aufreißer, der bereits einige Drogeriefilialen in Frankfurt aufgekauft hatte und nach weiteren Läden suchte, die er aufkaufen könnte. Mit meinem Vater, der 1970 seine Drogerie an die Stuttgarter Drogerie Godel verkaufen musste, kam er nicht zusammen. Aber über mich kam Helmut Nießner in Kontakt mit Dr. Roth junior, und so
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