Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
dauerte es nicht lange, bis dieser die Gelegenheit beim Schopfe packte. Er verkaufte Ende 1971 die Drogerie, um sich voll und ganz auf seine Chemikalien konzentrieren zu können.
Ich wurde gewissermaßen mitverkauft. Meine Aufgabe war es nun, als Prokurist die über hundert Einzeldrogerien, die Helmut Nießner unter dem Namen »Idro« fast immer über Nacht und geradezu willkürlich kaufte, in irgendeiner Weise in einem vernünftig strukturierten Filialnetz zu ordnen. Das Geschäftsmodell hatte, gelinde gesagt, wenig Substanz und funktionierte nach dem Motto: »Möglichst viele Einbeinige. Wenn man zwei kombiniert, hat man einen prima Hundert-Meter-Läufer.«
Vereinfacht dargestellt, bekam ich beispielsweise am Montagmorgen einen Anruf von einem Berliner Drogisten: »Der Herr Nießner hat uns am Wochenende gekauft, ich soll mit Ihnen einen Inventurtermin vereinbaren.« Am Nachmittag fuhr ich dann mit meinem schicken Dienstwagen – einem 250er Mercedes, sechs Zylinder – nach Berlin und versuchte mir binnen weniger Tage ein Bild von der neuen Filiale zu machen. Das klang alles großartig. Und Prokurist einer solch großen Firma zu sein, machte ordentlich was her. In meiner Umgebung staunten zu dieser Zeit alle Bauklötze und meinten, nun sei ich endlich am Ziel aller Wünsche angekommen.
Aber mir war leider binnen weniger Monate klar, dass Idro ziemlich bald das Geld ausgehen würde. Denn diese alten Drogerien warfen keine Erträge ab, die man in eine zukunftsfähige Reorganisation hätte investieren können.
»Viel zu ambitioniert, völlig unmöglich!«
»So geht das nicht weiter«, dachte ich. »Es braucht ein vernünftiges, neues Konzept.« Also setzte ich mich nach Feierabend hin und schrieb auf, wie ich mir den Drogeriemarkt der Zukunft vorstellte. Darin verarbeitete ich alles, was ich bis dahin gelernt und erkannt hatte. Heute nennt man derlei Businessplan, damals hatte ich keinen Namen dafür, aber das Konzept umfasste Zahlen und Wachstumsideen, auch Maßnahmenpläne, wie man schrittweise vorgehen müsste: Selbst aus der Rückschau von heute war das nicht ganz schlecht. Aber wieder einmal teilte niemand mein Evidenzerlebnis, auch nicht der Idro-Gesellschafterbeirat, dem ich das Ganze im Februar 1973 präsentierte. Dessen Reaktion lautete schlicht: »Viel zu ambitioniert, völlig unmöglich!«
Da stand ich nun also – wie fast auf den Tag genau vier Jahre zuvor bei meinem Vater – im Büro von Helmut Nießner und sagte: »Herr Nießner, Ihr Unternehmen ist bald pleite. Wenn sich nichts ändert, steige ich aus.«
Bei Idro änderte sich nichts, also stieg ich aus, tauschte den Mercedes gegen einen gebrauchten Renault 4 und verdiente den Lebensunterhalt für unsere vierköpfige Familie die nächsten Monate im Teppichland Holzbachtal . Das Bodenbelagsgeschäft mit etwa zwanzig Filialen war einer der Pioniere für Teppichartikel, textile Fliesen und dergleichen. Tatsächlich zog ich einen derart radikalen Branchenwechsel und den Umzug nach Berlin in Erwägung. Aber in mir schlummerte dieser Realtraum des dm Drogeriemarktes und wartete darauf, wachgeküsst zu werden.
Und steh beschämt, wenn du bekennen musst: Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange, ist sich des rechten Weges wohl bewusst.
Johann Wolfgang von Goethe
K APITEL 3 Menscheninteresse
oder warum Erfolg Erfolg heißt
Das Beste am Handel ist, dass man sofort merkt, ob man Erfolg hat oder nicht: Der Umsatz ist der Applaus der Kunden. Wenn die Leute den Laden ausräumen, hat man es richtig gemacht. Insofern war mit dem einschlagenden Verkaufsstart in Karlsruhe der weitere Weg gebahnt. Als Pionier konnte ich das Unternehmen quasi über den Kontoauszug führen. Binnen weniger Wochen war klar, dass ich genug Geld hatte, um eine zweite Filiale eröffnen zu können. Ich dachte: »Der erste Laden läuft spitze. Jetzt müssen wir einen zweiten aufmachen, um zu sehen, ob das kein Zufall ist.« 1974 eröffnete ich eine Filiale in Mannheim, die noch besser lief; schließlich war inzwischen die Preisbindung gefallen.
Damit hatte ich einen gewissen empirischen Beweis, dass mein Konzept keine Eintagsfliege war. Der Erfolg war offensichtlich. Deswegen habe ich zwei Monate später gesagt: Jetzt kommt es darauf an, das Prinzip zu multiplizieren!
Allerdings war es so, dass nicht alle diese Sicht auf meinen Erfolg teilten. Es war keineswegs ausgemacht, dass ich das richtige Konzept entwickelt hatte. Für die meisten – so erfuhr ich es durch Tratsch und
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