Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
Salzburg oder Linz aufmachen. Gesagt, getan. Mitte Januar 1976 hatten wir die Verträge fertig, die Firma dm Österreich war gegründet, und Pepi kündigte bei Hofer. Ich war begeistert. Es war beeindruckend, wie viel Wissen Pepi sich in den acht Jahren bei Hofer angeeignet hatte; ein Wissen, das wir bei dm in Deutschland gut gebrauchen konnten. Wieder ein paar Wochen später war mein Entschluss klar: Ich bot Pepi an, bei dm Deutschland einzusteigen – auf Augenhöhe als Mitgeschäftsführer. Pepi war überrascht und bat mich um etwas Bedenkzeit.
Später erfuhr ich, dass er die Zeit aber gar nicht mehr brauchte, um nachzudenken, sondern weil er den bereits gefassten Entschluss seiner Frau schonend beibringen wollte. Die beiden hatten nämlich gerade erst den Bau eines Hauses in der Nähe von Graz abgeschlossen, für den sie die letzten zwei Jahre fast ihre gesamte Freizeit geopfert hatten. Im Jahr zuvor war das erste Kind auf die Welt gekommen. Jetzt war das zweite unterwegs. Wenn er nun bei dm einsteigen würde, bedeutete das, aus Graz wegzuziehen und sich eine Bleibe in Karlsruhe zu suchen. Aber offenbar gelang es ihm, seine Frau mit der Begeisterung anzustecken: Schon acht Wochen später zog die Familie in eine 140 qm-Wohnung nach Karlsruhe um. Der Plan war, für drei Jahre in Deutschland zu bleiben, bis dm Österreich groß genug war, um dann wieder in die Heimat zurückzukehren.
Körbeweise Bewerbungen, Auswahl per Graphologie
Ab diesem Zeitpunkt arbeiteten wir auf Hochtouren auf zwei Ebenen. Zum einen ging es darum, Strukturen in das bereits bestehende dm-Filialnetz einzuziehen. Zum anderen begannen wir mit dem systematischen Aufbau von dm-Filialen in Österreich.
Strukturen zu schaffen, bedeutete in dieser Phase des Unternehmens, eine zweite Hierarchie-Ebene einzuziehen. Denn 40, 50 Filialen zu betreuen, war für mich allein kaum noch möglich – zumal wir ja noch weiteres Wachstum anstrebten, und ich andere Aufgaben zu erledigen hatte, als von einer Filiale zur anderen zu düsen.
Durch Pepis Aldi-Erfahrungen gab es keine langen Diskussionen. »Das machen wir so, wie ich das gewohnt bin.« Wenn jemand von seinem Format, 1,98 Meter, 150 Kilo, acht Jahre in leitender Position bei Hofer in Österreich – wenn so jemand solch einen Satz sagt, dann gibt es da kein Vertun. Zumal das alles auch sofort einleuchtete: Wir würden das Harzburger Modell einführen. Wir bildeten Filialbezirke. Auf sechs oder sieben Filialen kam ein Bezirksleiter. Anfangs würden also fünf oder sechs Bezirksleiter reichen, aber für die langfristige Perspektive bräuchten wir sicher bald an die zwanzig Bezirksleiter. Jetzt musste man eben die entsprechenden Menschen dafür finden. Auch für die Mitarbeitersuche übernahmen wir den Prozess von Aldi.
Wir schalteten Stelleninserate in drei oder vier Zeitungen, weil wir Sorge hatten, nicht genügend Bewerbungen zu bekommen: »Führungsaufgabe im Handel«. Den Text übernahmen wir frech aus einem Aldi-Inserat für Bezirksleiterstellen, ein Plagiat, nur eben auf dm-Belange angepasst. Das erleichterte die Arbeit, und außerdem hofften wir, dass die erkennbare Ähnlichkeit zu Aldi für ein gewisses Vertrauen sorgen würde, schließlich war dm noch völlig unbekannt.
Und dann kamen die Bewerbungen. Körbeweise. Rund 850 Bewerbungen lagen am Ende auf unserem Tisch. Ich werde nie vergessen, wie wir da herumgeeiert sind: Was macht man mit 850 Bewerbungen? Eine Stecknadel im Heuhaufen zu suchen, wäre kaum schwieriger gewesen. Wir mussten irgendwelche quantitativen Kriterien finden, um auf 30 zu kommen, mit denen wir Gespräche führen wollten. Wonach sollten wir gehen? Wenn wir jeden Lebenslauf ansehen würden, wären wir tagelang beschäftigt.
Die Lösung war hart und ungerecht. Wir selektierten im ersten Schritt durch willkürliche, ganz äußerliche Kriterien: Bewerbungen ohne Unterschrift, was übrigens häufiger vorkommt, als man denkt, wurden aussortiert. Wer die Briefmarke nicht aufrecht aufgeklebt hatte, sondern schräg, wurde nicht eingeladen. Bartträger schieden aus. Und so weiter. Im Prinzip entschieden wir anhand von Formfragen. Denn wir dachten: Wer die Form schon an dieser Stelle nicht beherrscht, der wird es auch im Unternehmen nicht tun. Irgendwann blieben 45 Bewerber übrig, die wir genauer unter die Lupe nahmen.
Weiterhin blieben wir bei dem Verfahren, das Pepi von Aldi mitgebracht hatte: Wir schalteten einen Graphologen ein. Eine interessante Erfahrung.
Graphologie ist
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