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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Werner
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eine Methode, ein psychologisches Gutachten anhand der Handschrift zu erstellen. Das wird heute meist belächelt, war eine Zeitlang in Deutschland aber sehr in Mode und galt zeitweilig als echte Wissenschaft. In den 1920er Jahren wurde die Graphologie in der Justiz eingesetzt, und bis in die 1980er Jahre hinein war es selbstverständlich, dass man Bewerbungen mit der Hand schreiben musste. Aldi und dm waren also keineswegs die einzigen Unternehmen, die einen Graphologen bei der Auswahl von Bewerbern beschäftigten. Unser Graphologe, der uns empfohlen worden war, lebte und arbeitete in Heidelberg, ein Herr Fischer, der inzwischen verstorben ist. Mit den graphologischen Gutachten zusammen gab er sehr deutliche Statements ab: »Den können Sie nehmen. Den können Sie nicht nehmen.« Ich habe Herrn Fischer sehr geschätzt. Er hat mit seinen Empfehlungen immer recht gehabt. Aber natürlich ist es so, dass die Entscheidung, einen Graphologen zu konsultieren, schon eine Entscheidung dafür ist, ihm zu folgen. Denn was würde passieren, wenn der Graphologe ein tendenziell negatives Gutachten über jemanden abgibt und man stellt den Kandidaten trotzdem ein? Beim ersten Fehler des neuen Mitarbeiters gerät man ins Grübeln. Ein negatives graphologisches Gutachten ist eine Kontaminierung des möglicherweise entstehenden Vertrauens. Ein positives hingegen schafft zusätzlich Vertrauen. Ein Fehler wird leichter verziehen, schließlich ist der Kandidat im Kern – und wissenschaftlich erwiesen – ein guter Mitarbeiter.
    Am Ende dieses ersten Auswahlprozesses blieb dann schließlich ein knappes Dutzend von Bewerbern übrig, mit denen wir ein Gespräch führten und von denen wir schließlich sechs einstellten. Im Gespräch geht es dann übrigens wieder um Evidenzerlebnisse. Da müssen Sie sich auf die Person einlassen und schauen, wie Sie zu einer Entscheidung kommen.
    »Junge, du musst was lernen!«
    Bei diesem Mitarbeiterauswahl-Verfahren blieben wir recht lange; im Prinzip bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir begannen, die Führungskräfte aus den eigenen Reihen zu rekrutieren. Und auch unsere Führungsprinzipien basierten zunächst auf dem Aldi-Führungshandbuch, das die Harzburger Prinzipien fast militärisch penibel umsetzte und das Pepi nur geringfügig für dm umarbeitete. Im Mittelpunkt standen nicht der Mensch, sondern die Ordnung, das Akkurate und die Produktivität. Der Mensch war dem Mechanismus untergeordnet. Das schien uns damals einleuchtend. Wir hinterfragten das nicht.
    Nur in ein paar Details befreiten wir uns von den strengen Vorgaben. Zum Beispiel gab es im Harzburger Modell für Beförderungen die strikte Regel, dass man mit einem bestimmten Ausbildungsgrad auch nur eine bestimmte Karrierestufe erklimmen konnte. Pepi und ich waren uns einig, dass das Quatsch ist. Der Schulabschluss hatte in meiner Biografie keine Rolle gespielt, und auch Pepi hatte es bei Hofer gehasst, dass er gute Filialleiter nicht mehr befördern konnte, obwohl sie anerkannte Kaufleute waren. Gleich als Erstes schrieben wir deswegen in das dm-Handbuch, dass idealerweise unsere Führungsmannschaft zu 50% aus Praktikern und zu 50% aus Akademikern besteht. Auch Frauen wollten wir von Anfang an berücksichtigen. Hofer hat lange nur Männer in Führungspositionen gelassen.
    Parallel begannen wir mit der Expansion nach Österreich. Im November 1976 eröffneten wir den ersten Laden in Linz. Ein Jahr drauf waren es schon zehn, und es war absehbar, dass bis zum Sommer 1978 in Österreich mindestens 14 Filialen stehen würden. Kurz vorher stand Pepi bei mir im Büro: »Götz, wir müssen reden. Es wird Zeit, jetzt beginnt die heiße Phase. Ich muss zurück nach Österreich. Jetzt!« Es war ein Jahr früher als geplant, aber keinen Tag zu früh. Denn dadurch, dass Pepi wieder in Österreich lebte, konnte er die regionalen Entwicklungen besser mitverfolgen.
    dm Österreich war bald auf 80 Filialen angewachsen. Doch 1981 gelang nach kurzen Verhandlungen der Coup, auf einen Schlag weit über hundert bestehende Vita-Märkte zu übernehmen, knapp sechzig in Österreich, knapp siebzig in Deutschland. Einzelne Läden mussten wir schließen, weil sie oft dicht nebeneinander lagen, aber in Österreich haben wir danach mit 130 Filialen, in Deutschland mit über 250 Filialen weitergemacht. Das war wie eine Explosion!
    »Erfolg heißt Erfolg, weil er Folgen hat«, haben wir immer scherzend gesagt. Aber der Zuwachs an Komplexität ist bei solchem Wachstum erheblich.

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