Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
Rückblickend sieht es aus, als hätten wir das alles ganz systematisch vorbereitet, aber aus dem gegenwärtigen Alltag heraus agierten wir eher intuitiv. Als hätten wir es geahnt, hatten wir bereits Ende der 1970er Jahre begonnen, dem Zuwachs an Komplexität auch mit einem Zuwachs an Fähigkeiten zu begegnen.
Manche Unternehmen, die erfolgreich gestartet sind, gehen daran zugrunde, dass sie diesen Schritt versäumen. Viele Pioniere glauben, dass sie mit ihren bisherigen Fähigkeiten auf Dauer erfolgreich bleiben könnten. Sie handeln aus Empirie: Ich war in der Vergangenheit erfolgreich, ich werde es auch in Zukunft sein. Sie wollen reproduzieren. Sie schauen zurück (auf ihre Erfolge der Vergangenheit) und gehen vorwärts (in eine ungewisse Zukunft). Und dann, weil sie eben nicht sehen, wohin sie gehen, fallen sie in den Graben. Solches Handeln aus Empirie ist töricht: Wenn sich die Verhältnisse ändern, braucht man andere Fähigkeiten, um erfolgreich zu sein. Denn das Verhalten der Vergangenheit hat zwar zum Erfolg geführt; aber daraus hat sich eine neue Situation ergeben – und damit auch neue Herausforderungen. Denen aber kann man, um den berühmten Physiker Albert Einstein zu zitieren, nicht mit dem Denken von gestern begegnen, das ja erst zu den Problemen von heute geführt hat. Deswegen braucht man eine Veränderung, einen Zuwachs an Fähigkeiten. Und das heißt Zuwachs an Bewusstsein. Im Klartext sagte ich mir: »Junge, du musst was lernen!«
Ich erinnerte mich daran, dass ich zu Idro-Zeiten mehrmals Seminare am Gottlieb-Duttweiler-Institut (GDI) in Rüschlikon bei Zürich besucht hatte, die mir gut gefallen hatten.
Dutti, der Riese, wird zum Vorbild
Das GDI gilt als der älteste Wirtschafts-Think-Tank der Schweiz. Es wurde 1963 zum Gedächtnis an Gottlieb Duttweiler gegründet, der in der Schweiz die Lebensmittelkette Migros zu legendärem Erfolg geführt hatte. Duttweiler war ein beeindruckender Mann, der in den 1920er Jahren die Lebensmittelbranche auf den Kopf stellte, indem er die Ware unter Umgehung des Zwischenhandels billiger anbot. 1948 gründete er den ersten Selbstbedienungsladen und startete 1957 ein umfassendes Kulturprogramm – nach dem Motto: »Wenn ich oben zu einem guten Zwecke Geld zum Fenster hinauswerfe, kommt’s unten zur Ladentüre wieder herein.« Vom Umsatz der Handelskette geht bis heute ein fester Satz, das »Migros-Kulturprozent«, an gemeinnützige Zwecke – das waren 2011 über 117 Millionen Franken.
Besonders spektakulär war jedoch, dass Duttweiler 1940 sein Vermögen an seine 120 000 damaligen Kunden verschenkte, indem er die auf zehn Millionen Franken geschätzte Migros AG samt ihren Fabrikationsbetrieben in eine Genossenschaft umwandelte und die Kapitalanteile unter den Kunden verteilte. Auch seine private Villa mit dem umliegenden großen Park vermachte er der Allgemeinheit. Nur eine Million Franken behielt der damals 52-Jährige als »Notgroschen«. Heute umfasst der Migros-Genossenschafts-Bund zehn Regionalgenossenschaften, gehört über zwei Millionen Genossenschaftern und ist mit 86 000 Beschäftigten größter Arbeitgeber der Schweiz.
Dass »Dutti, der Riese« (so heißt ein Dokumentarfilm über ihn, der 2007 in die Kinos kam) in der Schweiz nicht nur als großherziger Wohltäter und engagierter Visionär gefeiert wird, liegt daran, dass Duttweiler genauso ambitioniert, wie er sein Unternehmen führte, auch seine politische Ansichten vertrat – und das ohne wirkliche politische Heimat. Die Rechten mochten ihn nicht, weil er jahrelang einen Kampf gegen die gewinnorientierten Methoden der Großkonzerne führte. Die Linken mochten ihn nicht, weil er Kommunismus und Sozialismus entschieden ablehnte und stattdessen die Macht der Konsumenten beschwor. So streitbar seine Ansichten waren, so polarisierend war auch sein Temperament, das schon mal mit ihm durchging. Zum Beispiel schmiss er 1948 Steine durch die Scheiben des Schweizer Parlamentsgebäudes in Bern, weil er den Eindruck hatte, die lahmen Politiker riskierten mit ihrer Entscheidungsunfähigkeit das Heraufziehen eines neuen Kriegs.
Kurz vor seinem Tod legte der oftmals als »Makkaronikönig« verlachte Unternehmer den Grundstein zum Gottlieb-Duttweiler-Institut in Rüschlikon, einem Zentrum für wirtschafts- und sozialpolitische Fragen. Er glaubte an den Begriff des »sozialen Kapitals« und wollte der Nachwelt ermöglichen, seine Ideen vom verantwortungsbewussten Dienst an der Gemeinschaft
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