Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
beschäftigt, anstatt einmal innezuhalten. In der Aktion heißt es »Augen zu und durch«; Kraft und Offenheit für Neues entstehen nur aus der Reflektion.
Durch die Beschäftigung mit der Geisteswissenschaft, der Anthroposophie fing ich an, Dinge zu hinterfragen, statt immer nur den Aktionen hinterher zu hetzen. Ich entdeckte die Anthroposophie als eine Fundgrube für meine Tagesproblematik, aber auch für meine mittel- und langfristigen Überlegungen. Durch die Begegnung mit Hellmuth J. ten Siethoff und die Lektüre von Steiners Schriften nahm ich einen Perspektivwechsel vor und ging mit anderen Augen durch die Welt.
Ich hatte vorher praktisch gar nichts gelesen. Nun wurde ich zur Leseratte. Wovon ich am meisten profitiert habe, ist die Erkenntnistheorie. Sie kann man wunderbar in Steiners »Philosophie der Freiheit« studieren, einem preiswerten Buch, das ich sicher schon ein Dutzend Mal gelesen habe.
Es geht um die Frage, wie man die Welt erkennt. Das wissen die wenigsten. Die meisten sagen nur: Ich erkenne sie. Aber die wenigsten fragen sich, wie sie die Welt erkennen und warum andere Menschen die Welt anders erkennen als sie selbst. Dabei entstehen doch genau daraus so viele Schwierigkeiten, dass wir Menschen die Welt eben unterschiedlich erkennen. Also ist es doch offenbar mehr als notwendig, zu fragen, warum wir wie die Welt erkennen. Mit dieser Frage beschäftigt sich die Erkenntnistheorie.
Die zweite Frage, die für mich wesentlich wurde, war die nach Reinkarnation und Karma. Es macht nämlich einen großen Unterschied, wie ich das Leben an sich bewerte – also ob ich sage: Vorn ist ein schwarzes Loch, hinten ist ein schwarzes Loch, und dazwischen musst du so viel wie möglich an dich raffen. Oder ob ich sage: Mein Ich ist einmalig, unverwechselbar und kehrt immer wieder; in diesem Leben habe ich eine Aufgabe zu erfüllen.
Wenn wir es uns erlauben – und nicht aus Angst, keine Antwort zu finden, uns schon die Frage verbieten –, dann beschäftigt uns diese Rätselfrage doch alle: Warum bin ich auf die Welt gekommen? Was sind meine Aufgaben? Und was gilt es zu lernen oder vielleicht im Verhältnis zu dem, was man in einem früheren Leben getan oder gelassen hat, auszugleichen?
Seit ich mich das erste Mal damit beschäftigt habe, war mir klar, dass es gar nicht anders sein kann, als dass wir wiedergeboren werden, dass das Leben sonst gar keinen Sinn hat. Dinge wie Schuld und Sühne, Glück und Pech, Krankheit und Wohlsein etc. könnte man sich sonst nicht erklären. Wenn man das alles nur auf ein Leben beschränkt, dann wird man nicht schlau daraus. In dem Moment, wo man über den Tellerrand der Inkarnation hinaus schaut, findet man eine ganz andere Dimension, ganz andere Einsichtsmöglichkeiten.
Nachdenken – die Universität des Lebens
Es gibt viele Menschen, die sich mit den Texten Rudolfs Steiners und ihrer sperrigen Sprache schwer tun. Leicht fällt mir die Lektüre auch nicht. Richtig warm geworden bin ich mit den Texten erst durch die Begegnung mit meiner zweiten Frau Beatrice, die mit der Anthroposophie bereits bestens vertraut war. Sie hat mir den Zugang zu den zentralen Schriften von Rudolf Steiner erst eröffnet. Mit ihr zusammen lese ich die Bücher immer wieder. Beharrlich im Bemühen, bescheiden in der Erfolgserwartung. Man kann die Texte nicht überprüfen, wie man ein wissenschaftliches Buch überprüfen kann. Man kann die Erkenntnisse Steiners nicht nachmessen, nachwiegen oder nachzählen wie Erkenntnisse der Naturwissenschaften. Aber man kann diese Sätze zur Kenntnis nehmen, man liest und lässt die Worte quasi gegen sein Bewusstsein und seine Seele schlagen. Und dann muss man sich fragen: Was macht die Lektüre mit mir? Tut sich bei mir ein Widerstand auf? Oder ist da etwas dran? Berührt es mich, oder lehne ich es ab?
Anthroposophie ist die Weisheit vom Menschen. Sie ist für mich zur Quelle geworden, um die Welt und die Menschen besser zu verstehen. Sie hat dazu geführt, dass ich eher die Lösungen als die Probleme sah. Damals hätte ich das sicher nie so gesagt, aber jetzt weiß ich es aus einer gewissen Empirie heraus: Je besser Sie die Menschen verstehen, je besser Sie die Welt verstehen, umso besser können Sie die Welt verwandeln und die Menschen bedienen.
In der Folge habe ich mit Hellmuth J. ten Siethoff die verschiedensten Facetten dieser drei Grundfragen und ihre Auswirkungen auf die Führung unseres Unternehmens oft und lange diskutiert. Unser sozialer
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