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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Werner
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weiterzuverfolgen und zu verbessern. Auf seinem Leitsatz »Der Mensch im Mittelpunkt und nicht das Kapital« basierend, erforscht und lehrt das GDI bis heute aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen rund um Handel und Konsum.
    Ich hatte das Institut seit dem Weggang von der Idro aus dem Blick verloren. Mir fehlte die Zeit, irgendwelche Seminare zu besuchen – und auch der Wille. Als Pionier weiß man sowieso immer alles besser. Ich machte ja alles richtig, also musste ich nichts lernen.
    Glücklicherweise bekam ich mit dem wachsenden Erfolg dann doch ein mulmiges Gefühl oder besser: spürte einen gewissen Lernbedarf. Nicht weil wir in Schwierigkeiten oder gar in Verlust zu geraten drohten, sondern weil ich mich fit halten wollte. Schließlich wusste ich vom Rudern, dass man ohne regelmäßiges intensives Training keine Regatta gewinnen kann – auch wenn man in der Vergangenheit zahlreiche Pokale gesammelt hat.
    Ich besuchte also im Sommer 1977 kurz vor den großen Ferien ein Dreitagesseminar zum Thema »Organisationsentwicklung«. Das schien mir genau das zu sein, was wir bei dm jetzt brauchten. Seminarort war nicht in Rüschlikon, sondern das Hotel »Chateau Gütsch« oberhalb von Luzern. Das Hotelgebäude stammt aus der Belle Époque und war dem Schloss Neuschwanstein nachempfunden. Es thront mit eigener Standseilbahn wie ein Wahrzeichen über der Stadt. Es war also eine wunderbare Atmosphäre, in der wir dort tagten.
    »Sagen Sie mal, haben Sie was
mit Anthroposophie zu tun?«
    An das Seminar selbst erinnere ich mich nicht mehr genau. Wir waren etwa 35 Teilnehmer aus unterschiedlichsten Handelsunternehmen und gingen, wie das so üblich ist, von Gruppenarbeit zu Gruppenarbeit. Dabei hatte ich sicher auch die eine oder andere kluge Erkenntnis. Aber wirklich entscheidend für mein weiteres Leben wurde eine Kaffeepause. Es muss am zweiten oder dritten Tag gewesen sein. Da kam in der Pause der Seminarleiter namens Hellmuth J. ten Siethoff auf mich zu. Er war ein etwa 50-jähriger Holländer, der in Indonesien geboren und als Erwachsener nach Holland zurückgekehrt war.
    »Sagen Sie mal, haben Sie was mit Anthroposophie zu tun?« Ich war erstaunt. Das hatte mich noch nie jemand gefragt. Aber es stimmte.
    Nach meinen eigenen schlechten Schulerfahrungen hatten meine Frau und ich beschlossen, dass unsere Kinder eine andere Art von Schule erleben sollten. Zusammen mit anderen engagierten Eltern gründeten wir die erste Waldorf-Schule in Karlsruhe. Dadurch war ich erstmals in Berührung mit den Ideen von Rudolf Steiner gekommen und hatte angefangen, erste Texte zur Anthroposophie zu lesen. Allerdings bislang nicht sonderlich ambitioniert, schließlich sind die Begrifflichkeiten sehr gewöhnungsbedürftig und die Texte nicht leicht zu lesen.
    »Wieso fragen Sie das?«, hakte ich nach. Da sagte er: »Die Art und Weise, wie Sie hier im Seminar argumentieren, entspricht sehr dem Denken Rudolf Steiners.« Und dann erzählte er in wenigen Sätzen, dass seine gesamte berufliche Tätigkeit aus der Anthroposophie gespeist sei.
    Zum Abschluss der Kaffeepause drückte er mir ein kleines 83 Seiten schmales Büchlein in die Hand. Es enthielt Vorträge seines Lehrmeisters Prof. Dr. Bernard Lievegoed, der den Begriff Organisationsentwicklung in Europa seit den 1950er Jahren entscheidend mitgeprägt hatte. Lievegoed war ein holländischer Vollblutanthroposoph und Begründer des Niederländischen Pädagogischen Instituts für Organisationsentwicklung, NPI, einer internationalen Unternehmensberatung im holländischen Zeist, die auch große Konzerne beraten hat. Das Büchlein hieß »Soziale Gestaltung in der Heilpädagogik« und erschloss sich auf Anhieb nicht als typische Unternehmerlektüre. Trotzdem nahm ich es mit in den Urlaub und las es mit wachsendem Interesse. Ich begann mich mit Fragen der Sozialität zu beschäftigen. Wie erlernt der Mensch eine soziale Orientierung für sein Verhalten und Handeln?
    Vor allem beschäftigten mich drei Kernfragen, die mir Hellmuth J. ten Siethoff mit auf den Weg gegeben hatte:
    »Erste Frage: Ist das Unternehmen für Sie da, oder sind Sie für das Unternehmen da?
    Zweite Frage: Sind die Mitarbeiter für das Unternehmen da oder das Unternehmen für die Mitarbeiter?
    Dritte Frage: Sind die Kunden für das Unternehmen da oder das Unternehmen für die Kunden?«
    Drei Fragen ändern die Welt(sicht)
    Ich war damals noch so im Erfolgsrausch, dass ich mir solche Fragen selbst nie gestellt

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