Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
Weise entwickelte sich im gesellschaftlichen Bewusstsein irgendwann die Erkenntnis, die auch heute nicht banal ist. Sie lautete: Die Menschen sind nicht die Abnehmer von Produkten, sondern in Wirklichkeit die Auftraggeber ; sie müssen eine Mitverantwortung übernehmen für die Art und Weise, wie sie konsumieren.
Die Wahrhaftigkeit dieses Gedankens wurde mit den Jahren immer deutlicher. Es entwickelt sich allmählich und bis heute ein neues Konsumbewusstsein: Öko, nachhaltig, fair, sozial. Mitte der 1980er Jahre waren wir davon noch weit entfernt. Aber in jener Zeit lief mir ein Mann über den Weg, mit dem zusammen ich bald darauf diesem neuen Konsumbewusstsein erste Angebote gegenüber stellte.
Ich war auf der Durchreise in Dornach in der Schweiz und eigentlich auf der Suche nach einer Apotheke, weil ich mich rechtzeitig für einen aufkommenden Schnupfen wappnen wollte. Da spazierte ich in der Mittagszeit an einem Haus vorbei, wo zu jener Zeit unterschiedlichste Seminare für »freie Jugendarbeit, Kunst und Sozialorganik« angeboten wurden. Im Schaukasten am Eingang entdeckte ich, dass just in diesen Tagen Dr. Götz Rehn ein Seminar mit dem rätselhaften Titel »Sozialorganische Unternehmensgestaltung« leitete. Der Name des Seminarleiters war mir schon mal begegnet: Bei einem Seminar im Gottlieb-Duttweiler-Institut hatte ich wenige Monate zuvor den Abdruck eines Vortrages von Götz Rehn zum Thema »Das Verhaltensgitter – ein modernes Führungsinstrument und Organisationsentwicklungskonzept?« gefunden und mitgenommen, weil er die Herausforderungen einer Organisation ziemlich präzise auf den Punkt brachte.
Als ich das Haus betrat, um nach dem Seminarleiter zu fragen, schickte man mich gleich weiter in das ehemalige Wohnzimmer der Villa, wo sich nun der Speiseraum des Seminarhauses befand. Ich fand Götz Rehn mit seiner Gruppe an einem Esstisch vor dem Fenster, steuerte neugierig auf ihn zu und signalisierte – auch um die Gruppe nicht unnötig lange zu stören – schnell, offen und direkt, dass ich seine Arbeit sehr interessant fände und gern mehr darüber erfahren würde.
Götz Rehn arbeitete, nachdem er Volkswirtschaft studiert und in BWL über Organisationsentwicklung promoviert hatte, zu dieser Zeit bei Nestlé, hatte sich aber schon seit seinem 21. Lebensjahr mit Anthroposophie beschäftigt und wollte sich eigentlich als Unternehmer selbstständig machen. Er hatte sehr genau Vorstellungen davon, wie die Unternehmensgrundsätze aussehen, wie die Führung organisiert und wie man mit Kapital umgehen würde. Aber er hatte keine Ahnung, was er machen sollte; er suchte nach einem Unternehmensgegenstand. Er war offen für diverse Geschäftsideen mit unterschiedlichsten Ansätzen, ob Kinderkleidung, Lebensmittel oder Gastronomie – wichtig war ihm das Ideal, etwas Sinnvolles zu tun.
Ich erhoffte mir von dem sechs Jahre jüngeren, wissenschaftlich geprägten Mann interessante Fragen und Anregungen für mein eigenes unternehmerisches Denken und Tun. Im Gegenzug konnte ich ihm vielleicht helfen, seine Selbstständigkeit zu realisieren. Sehr schnell erkannte ich, dass es eine gute Idee wäre, noch einen Dritten in diesen geistigen Austausch einzubinden: Wolfgang Gutberlet, den Chef der Lebensmittelkette tegut aus Fulda. Ihn hatte ich kennengelernt, weil wir beide Mitglied in der Einkaufsorganisation Gedelfi waren. Wir waren gleich alt, hatten Kinder etwa im selben Alter in der Waldorfschule, auch er beschäftigte sich mit Anthroposophie und las gerade Steiners Buch »Die Kernpunkte der sozialen Frage«. Bei so vielen Parallelen war es leicht, sich anzufreunden.
Also habe ich uns drei zusammengebracht. Wir trafen uns fortan vielleicht drei-, viermal im Jahr, um uns in konzentrierter Atmosphäre über Fragen der Sozialorganik auszutauschen. Von Anfang an waren die Gespräche natürlich von der Frage begleitet, auf welche Weise Götz Rehn seine Karriere als Unternehmer beginnen könnte. Es dauerte nicht lange, bis sich die ersten groben Ideen konkretisierten: Ziel war es, ein biologisches Lebensmittelsortiment aufzubauen, vielleicht sogar eine Bio-Supermarktkette.
Bio – ein schieres Hirngespinst!?
Was heute relativ banal scheint, galt damals als ein schieres Hirngespinst. Der Bio-Gedanke war in keiner Weise gesellschaftsfähig. Götz Rehn stieß mit seinen Vorstellungen auf wenig Gegenliebe. Ob Freunde, Verwandte, Bekannte – außer seiner Mutter, Wolfgang Gutberlet und mir fanden alle die Idee eines
Weitere Kostenlose Bücher