Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
Bio-Supermarktes völlig abgedreht, ohne Aussicht auf Erfolg, Zeitverschwendung. Er war deswegen zutiefst dankbar, wie er einmal gegenüber einem Journalisten sagte, »dass es überhaupt anderthalb Personen gab, die einen nicht für nur wahnsinnig hielten«.
Man sollte sich zudem bewusst machen, dass es in den frühen 1980er-Jahren nur sehr wenige echte Bioprodukte gab. Zwar hatten hier und da schon kleine Bioläden namens »Heuschrecke« oder »Gerstenkorn« aufgemacht. Aber was dort verkauft wurde, sah teilweise nur müsliartig aus, war aber gar nicht hundertprozentig biologisch. Rechtsvorschriften gab es damals noch nicht, lediglich selbst geschaffene Richtlinien von Bauern und Lebensmittelproduzenten, die sich bei Demeter oder Bioland zusammengeschlossen hatten. Erst 1992 gab es die erste gesetzliche Regelung zu Kennzeichnungen wie Bio oder Öko – und die sind bekanntlich bis heute umstritten.
Anfang der 1980er Jahre war das Thema Bio noch ein vollkommen gesetzloser Wildwuchs. Da wurde herkömmlicher Tee einfach in einer Packpapiertüte als Öko verkauft oder herkömmliches Getreide simpel gemischt und als Bio deklariert. Aber vor allem gab es viel zu wenig Bio-Artikel, um überhaupt einen Laden zu bestücken. Uns war klar, dass man hier das Qualitätsversprechen »Bio« unbedingt einhalten musste, wenn man das Vertrauen der Verbraucher nicht gleich verspielen wollte. Die erste Frage, die wir uns stellten, lautete also: Woher kommen die Bio-Produkte, die man dann im Laden verkaufen kann?
Die Antwort war einfach, aber folgenschwer: Man musste erst mal Bio-Produkte entwickeln und dann Bauern und Firmen finden, die die Produkte entsprechend der Vorgaben herstellten: Tee, Saft, Müsli, Mehl, Honig, Marmelade … Anfangs ging es um das Trockensortiment, das wir – ohne speziellen Laden – bei dm und tegut anbieten und erproben konnten. Die Kooperation mit dem Lebensmittelhändler tegut war naheliegend, aber auch die Kooperation mit dm war keineswegs so abwegig, wie man vielleicht meint, wenn man bei Drogerie nur an Zahnpasta denkt. Traditionell gab es in Drogerien ja immer schon Diätetika. Auch ich hatte in meiner Ausbildung im Reformbereich gelernt.
Das kleine Sortiment wurde dann Stück für Stück weiterentwickelt, immer mit der Zielsetzung, dass Götz Rehn irgendwann sein eigenes Unternehmen gründet: nämlich eine Bio-Supermarktkette. 1984 kündigte Rehn bei Nestlé und gründete seine Firma »Konzeption und Vertrieb natürlicher Lebensmittel Dr. Rehn«, die 1985 in die »Alnatura Produktions- und Handels GmbH« umgewandelt wurde. Verkauft wurden nur Lebensmittel, die nicht nur naturnah bearbeitet, sondern auch vollständig aus dem biologischen Landbau stammten. Deswegen heißt der Slogan bei Alnatura »Sinnvoll für Mensch und Erde«: Sinnvoll für den Menschen, weil es gesund, nicht denaturiert ist; und sinnvoll für die Erde, weil keine Pestizide oder Gifte in der Erzeugung die Erde auslaugen oder schädigen.
Der Weg war weit. Aber mit der bewährten Devise ging es beharrlich und bescheiden vorwärts. Zunächst war das Alnatura-Sortiment bei dm sehr klein, füllte vielleicht einen Regalmeter oder sogar weniger. Das Frische-Sortiment landete bei tegut, aber auch hier brauchte alles seine Zeit. Doch der Trend kam, wir hatten uns nicht geirrt. Als endlich auch außerhalb des Eigenmarken-Sortimentes genügend Waren verfügbar waren, eröffnete 1987 in Mannheim die erste Alnatura-Filiale. Doch anders als bei den ersten dm-Märkten rauchten keineswegs gleich die Kassen. Im Gegenteil: Anfangs lief es überhaupt nicht gut. Die Kunden kauften relativ geringe Mengen und waren extrem skeptisch, ob sie dem Angebot vertrauen konnten.
Es dauerte einige Jahre und brauchte enorme Beharrlichkeit, die Götz Rehn vielleicht nur deshalb durchstand, weil er von Anfang an die dm-Mitarbeiter in zwei- oder dreitägigen Seminaren ausbildete und in diesen Seminaren für die Alnatura-Produkte begeistern konnte. Es gab dann immer mehr Mitarbeiter bei dm, die mit größtem Enthusiasmus und größtem Engagement das Alnatura-Segment gefördert haben. So spürte Götz Rehn immer wieder die positive Reaktion der Menschen auf sein Tun, wenn sie sich erst lange genug damit beschäftigt hatten. Es musste ihm nur gelingen, Situationen zu schaffen, in denen die Kunden sich damit verbinden und sich selbst ein Urteil bilden können. Ich ermutigte ihn, kompromisslos konsequent zu bleiben, weil es immer wieder Stimmen gab, die ihn vom Weg
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