Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
Science-Fiction-Literatur. Dass man in Folge all dieser Datenauswertung heute Warenumschlagszeiten – also die Zeitspanne zwischen Warenlieferung und Verkauf an den Kunden – von weniger als 24 Stunden haben würde, das alles war ferne Utopie. Genauso wie Megastores mit 40 000 verschiedenen Waren auf 5000 Quadratmetern. Beides – die beeindruckende Größe heutiger Geschäfte mit der Überfülle an Waren und das detaillierte Wissen um kleinste Verkaufsmengen – gehört untrennbar zusammen. Oder um es mit den Worten eines der erfolgreichsten Händler der Welt, Samuel Moore Walton, des Gründers von WalMart, zu sagen: »Retail is detail.« Einzelhandel ist Detailarbeit.
Mir war dieses Detailwissen von Anfang an ein großes Bedürfnis. Ich wollte immer genau wissen: Wie viel verkaufen wir denn wirklich? Und in welchem Zeitraum? Denn nur mit diesem Wissen kann man ein intelligentes Warenwirtschaftssystem aufbauen.
Zum Verständnis: Der Erfolg des Einzelhandels beginnt mit der Wahl des richtigen Standortes. Denn standortbedingt spreche ich ein bestimmtes Kundenpotenzial an. Genauso wichtig ist das attraktive Sortiment. Man muss im Angebot haben, was der Kunde braucht. Doch das attraktive Sortiment muss für die Kunden erschwinglich sein, also zu Preisen angeboten werden, die sich der Kunde leisten kann. Super-Standort, Super-Sortiment, Super-Preise – das nützt alles nichts, wenn die Ware nicht verfügbar ist. Der Kunde braucht zehn Artikel, aber nur drei sind da. Das macht die Kundschaft auf Dauer nicht mit. So wird Handel erfolgreich: Das richtige Produkt zum richtigen Preis am richtigen Ort – und das alles zur rechten Zeit.
Im Fachjargon spricht man von intelligenter Warenbewirtschaftung. Erfolg bedeutet, mit dem geringsten Wareneinsatz den höchsten Umschlag zu erzielen. Wenn der Warenumschlag langsam ist, bindet er unnötig Kapital. Man schiebt große Bestände vor sich her, die man erst abverkaufen muss, um wieder liquide zu werden und neue Ware kaufen zu können. Nur wenn der Umschlag schnell ist, kommt er mit einer relativ geringen Kapitalbindung aus, und man kann flexibel auf die Kundennachfrage reagieren. Da die Märkte transparent sind und das dm-Sortiment im Prinzip auch in anderen Geschäften gekauft werden kann, spielt sich der Wettbewerb zwischen den Händlern zum großen Teil im Bereich der Kosten und der Organisation ab. Die Steuerungsfrage und die Verknüpfung der Standorte miteinander sind das eigentliche Know-how des Filialbetriebes.
Durch die atomistische Struktur eines Filialbetriebes wird alles immer unübersichtlicher, je mehr Filialen dazu kommen. Also muss man Instrumente schaffen, die einen das Ganze durchblicken lassen. Ziel ist es, dass im Lager automatisch Ware nachbestellt wird, wenn sie im Laden jemand aus dem Regal nimmt und bezahlt. Der erste Schnittpunkt der Informationskette ist also die Kasse. Sie rückte damit ins Zentrum des kaufmännischen Interesses.
Scannerkasse und EAN-Code –
ein umgekehrtes Henne-Ei-Spiel
Die ersten Scannerkassen tauchten in den 1970er Jahren in den USA auf. IBM hatte 1973 einen Prototyp entwickelt. Vier Jahre später waren die Scannerkassen auf dem deutschen Markt. 1982 gab es ganze 66 Unternehmen mit Scannerkassen in Deutschland, drei Jahre später etwas über 700. Es dauert eben, bis sich im Handel Innovationen durchsetzen. Aldi Süd übrigens setzt die Scannerkassen erst seit dem Jahr 2000, Aldi Nord sogar erst seit 2003 ein.
Dabei machte die Scannerkasse für die Kassiererinnen die Arbeit leichter. Vorher mussten sie alle Preise im Kopf haben (oder im Zweifel in einer Liste nachschlagen) und von Hand in die Kasse eintippen. Dank Scannerkasse vereinfachte und beschleunigte sich der Kassenvorgang.
Doch damit Scannerkassen die Preise automatisch erkennen, müssen die Produkte entsprechend gekennzeichnet sein. Inzwischen sind in Deutschland rund 80 Prozent aller Artikel und sogar 98 Prozent der Lebensmittel mit einem Strichcode gekennzeichnet. Doch es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Unternehmen dazu bereit waren.
Es war die Frage, wer den Anfang machen sollte – quasi ein umgekehrtes Henne-Ei-Spiel. Die Industrie sagte: Wir verschwenden nicht wertvolle Werbefläche auf der Verpackung für eine Handvoll Geschäfte, die mit Scannerkassen arbeitet. Der Handel sagte: Wir investieren nicht in teure Scannerkassen, für eine Handvoll Produkte, die einen Strichcode trägt. Es brauchte ein paar mutige und verrückte Pioniere. Den ersten
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