Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
antworten: Wer so fragt, liest keine Zeitung!
Der Mensch strebt nach Sicherheit. Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten 1988 gesagt: In drei Jahren werden wir Läden in Leipzig, Dresden und Rostock haben! Dann hätte jeder gesagt, die spinnen. Oder andersherum: Stellen Sie sich vor, wir hätten im Sommer 1989 einen festen Plan für die nächsten zwei Jahre gemacht. Der wäre zum Jahresende Makulatur gewesen – oder wir hätten an der Realität vorbei gearbeitet. Es gab ja tatsächlich Unternehmen, die nach zwei Jahren immer noch nicht in den neuen Ländern angekommen waren. Ostdeutschland stand nicht in deren Strategiepapieren, gab es also nicht.
Umsatz ist der Applaus der Kunden
Genauso wie Pleiten, Pech und Pannen lieben die Medien auch Extreme und Eindeutigkeiten. »Mit welcher Entscheidung haben Sie am meisten für Ihre Karriere getan?«, fragte mich einmal ein Journalist. Das ist eine komplizierte Frage, auch wenn sie so scheinbar leichtfüßig daherkommt.
Manche Unternehmer geben solche Aussagen zu Protokoll wie »Nur weil ich x gemacht habe, ist mir y gelungen.« Aber so klar und eindeutig ist es eben im Leben nicht. Oftmals erreichen wir Ziele, die wir gar nicht angestrebt haben. Kolumbus bricht nach Indien auf und entdeckt Amerika. Oder wir stellen fest, dass der Weg spannender ist als das Ziel. Auf dem Weg nach Paris gehen wir über Peine und Pattensen und stellen in Paderborn fest, dass man dort auch sehr gut leben kann. Und in keiner Situation meines Lebens habe ich bemerkt, dass ich gerade einen Meilenstein passiert habe. Immer habe ich erst in der Rückschau erkannt, dass ich in diesem oder jenem Zeitraum wohl an einer Kreuzung gewesen bin. Aber hätte ich wirklich jemals einen anderen Weg einschlagen können? In der Gegenwart gibt es doch meist nur einen einzigen Weg, den das Individuum gehen kann.
Mit welcher Entscheidung also habe ich am meisten für meine Karriere getan?
Dazu muss man zuerst einmal wissen: Was ist denn überhaupt Karriere? Die meisten Menschen halten den beruflichen Aufstieg in der Unternehmenshierarchie für Karriere. So gesehen, habe ich an dem Tag, als ich dm gründete, das Ende meiner Karriere erreicht; denn seither habe ich keinerlei Aufstieg mehr vollzogen. Ich bin immer der geblieben, der ich damals war – und doch habe ich mich stets weiterentwickelt. Insofern habe ich dann doch »Karriere gemacht«.
Im eigentlichen Wortsinn ist nämlich Karriere, angelehnt an das lateinische Wort »carrus«, Wagen, nichts anderes als eine Fahrstraße. Der Lebensweg. Und für seinen Lebensweg tut man dann am meisten, wenn man sich nicht davon abbringen lässt. Auch sollte man sich stets darum bemühen, die auf dem Lebensweg liegenden Aufgaben exzellent zu erfüllen. Wenn ich das eine tue, während ich eigentlich das andere tun will (zum Beispiel in einer Hierarchie aufsteigen), wird die Arbeit vermutlich nicht besonders gut gelingen. Nur wenn ich mich auf die Aufgabe konzentriere, mich mit ihr wirklich verbinden kann und mein Bestes gebe, wird auch das Ergebnis gut sein können.
Bei allem, was ich tue, lautet doch die einzig relevante Frage: Hat, was ich mache, Sinn? Nicht: Werde ich dafür bezahlt? Oder werde ich dafür befördert?
Insofern war die wichtigste Entscheidung für meinen Lebensweg, dass ich immer nur Aufgaben ergriffen habe, mit denen ich mich identifizieren konnte, bei denen ich mich authentisch erlebte. Viele Menschen spalten sich auf. Sie versuchen, zwei Wege gleichzeitig zu gehen. Auf dem einen tun sie Dinge, die sie tun müssen; auf dem anderen tun sie Dinge, die sie tun wollen. Sie unterscheiden zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Arbeit ist Zwang, Freizeit ist Freiheit. In der Arbeitszeit unterliege ich Weisungen Dritter, in der Freizeit kann ich frei entscheiden, was ich tun will. Diese Selbstbestimmtheit in der Arbeit wiederzuentdecken, das schafft ein großes Stück Freiheit.
Als ich irgendwann das Thema »Grundeinkommen« entdeckte, begriff ich, was wir Menschen antun, wenn wir ihnen ein Grundeinkommen verweigern, obgleich wir es ihnen geben könnten. Ich selbst hatte – und dafür bin ich zutiefst dankbar – immer das Selbstvertrauen, dass es mir gelingen würde, meine Arbeit stets so gut zu machen, dass meine Mitmenschen mich dafür bezahlen. Denn nichts anderes bedeutet es ja, wenn die Kunden nicht irgendwo, sondern bei dm ihre Ware kaufen. Der Umsatz ist der Applaus der Kunden. Und auch die Mitarbeiter kommen zu dm, weil sie dm offenbar für ein
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