Wood, Barbara
darüber hinaus über eine
Energie und eine Begeisterung, die Hannah mitreißend fand. Sie hatte gehört,
dass Amerikaner weniger zurückhaltend seien als Engländer und eher bereit,
offen zu sagen, was sie dachten, und Mr. Scott war das beste Beispiel dafür.
Seiner Ausbildung nach Wissenschaftler mit Schwerpunkt Geologie und
Naturwissenschaften, war Neal Scott von der Kolonialregierung in Perth für eine per Schiff durchzuführende Bestandsaufnahme der westlichen
Küste und der nahe gelegenen Inseln unter Vertrag genommen worden. »Ich fahre
nach Australien«, hatte er am ersten Tag auf See seinen Mitreisenden kundgetan,
»um Geheimnisse zu entdecken und Unbekanntes zu erforschen und Antworten auf
Fragen zu erhalten, wie beispielsweise auf die, warum es in Australien Tiere
gibt, die sonst nirgendwo auf der Welt zu finden sind, und warum andererseits
überall auf der Welt bestimmte Tiere anzutreffen sind, die man nur in
Australien nicht zu sehen bekommt. In Australien gibt es keine Bären, keine
großen Raubkatzen. Löwen, Tiger, Panther hingegen sind allerorten, nur in
Australien nicht. Warum? Schon der Name >Australien<, der sich übrigens
vom lateinischen terra australis incognito ableitet, sagt genug aus -
unbekanntes Land im Süden.«
Jetzt
wandte sich Neal an Dr. Applewhite, der mit Appetit seinem Tafelspitz
zusprach. »Doc«, sagte er, »ich glaube, der Kapitän wird Sie gleich rufen
lassen. Sie sollen sich da unten mal umsehen. Nichts Besorgniserregendes«,
fügte er mit einem raschen Blick auf die anderen zu.
»Ach du
meine Güte!«, stieß Mrs. Merriwether,
keineswegs von Mr. Scotts abschwächendem Zusatz beruhigt, aus. »Auf welche
Symptome ist eigentlich zu achten, Doktor?« Sie fühlte sich den Puls, legte
dann die Hand an die Stirn.
»Sie haben
nichts zu befürchten, gute Frau«, gab Applewhite zurück und schenkte sich
abermals Wein nach.
Hannah
merkte, dass Mrs. Merriwether
sich nicht damit zufrieden geben wollte, und tätschelte ihr den Arm. »Nichts
deutet auf eine Veränderung Ihres Gesundheitszustands hin, Mrs. Merriwether. Ihr Puls und Ihre Temperatur sind völlig normal. Ich
glaube, wir sind hier sicher.«
Erstaunt
nahm Neal Scott zur Kenntnis, welche Wirkung Hannah Conroys begütigende Worte
auf Mrs. Merriwether ausübten, die sich auf
der Stelle beruhigte und befand, dass ihr zumindest eine Kostprobe von dem
Bordeaux guttun würde. Die junge Dame schien nicht nur die Gabe zu besitzen,
aufgebrachte Gemüter zu beschwichtigen; wie sich gezeigt hatte, scheute sie
sich auch nicht, Dr. Applewhite, falls nötig, ihre Mithilfe unten im
Zwischendeck anzubieten. Eine Geste, die man nicht unbedingt von einer gebildeten
jungen Dame erwartete.
Überhaupt
steckte Miss Hannah Conroy, wie Neal festgestellt hatte, voller Überraschungen.
Als sie an Bord der Caprica gegangen
waren, hatte er sie für die Tochter der Merriwethers gehalten. Umso erstaunter
war er gewesen, als er erfuhr, dass sie allein reiste. Beeindruckend fand er
auch, wie sie die Caprica als
»Traumschiff« bezeichnet hatte, als die Segel gesetzt wurden und alle -
Offiziere und Mannschaften, die vier Oberdeck-Passagiere sowie die über
zweihundert Aussiedler - Zeugen wurden, wie England nach und nach zu einer
Erinnerung verblasste. »Jeder hier an Bord fährt einem lang gehegten Traum und
einem Neuanfang entgegen. Das ist unglaublich spannend, Mr. Scott.«
»Was hat Sie
eigentlich bewogen, Hebamme zu werden?«, hatte Neal gefragt, als sie sich
bereits auf dem offenen Meer befanden und er erfahren hatte, wie Miss Conroy
nach dem Tod ihres Vaters ihr Häuschen verkauft und sich um eine Passage zu den
Kolonien auf der anderen Seite der Welt bemüht hatte.
Ihre
Begeisterung war ihm nicht entgangen, als sie erwidert hatte: »Als ich acht
Jahre alt war, brachte man einen verletzten Bauern zu uns, er blutete und hatte
starke Schmerzen. Innerhalb von Minuten linderte mein Vater die Beschwerden,
stoppte die Blutung und nähte die Wunde. Wie gebannt sah ich zu und dachte:
Das möchte ich auch können. Aber dann erfuhr ich, dass Mädchen nicht zum
Medizinstudium zugelassen sind. Als ich dann vierzehn war, kam eine Hebamme
nach Bayfield. Sie verstand sich nicht nur
darauf, Babys auf die Welt zu verhelfen, sondern Frauen in vielerlei Hinsicht
beizustehen. Und da mir das Studium der Medizin versagt war, sah ich darin
einen Fingerzeig, über die Ausbildung zur Hebamme auch im medizinischen Bereich
Fuß zu fassen.«
»Und
weshalb haben Sie sich
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