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Wood, Barbara

Wood, Barbara

Titel: Wood, Barbara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieses goldene Land
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entschieden, nach Australien zu gehen?«
    Sie hatte
ihn unverwandt angeschaut und gesagt: »Weil ich nicht in England bleiben
konnte, in einem Land, das mit seinen antiquierten Vorstellungen und seinem
Standesdünkel meinen Vater umgebracht hat. Ich möchte mir ein neues Leben
aufbauen, in einem Land, in dem es keine Lords gibt, keine vererbten Titel und
Privilegien, die einem rechtmäßig nicht zustehen.« Was für eine willensstarke,
kämpferische junge Dame, die sich da mutterseelenallein ans andere Ende der
Welt aufmachte, hatte Neal gefolgert. Dabei sah sie gar nicht so aus. Mit
ihrer schlanken Figur, ihrer anmutigen Haltung, ihrer besonnenen Sprechweise,
diesen hinreißend weißen Händen und der hohen Stirn über großen,
ausdrucksstarken Augen wirkte Miss Conroy eher wie eine junge Dame aus besseren
Kreisen, die sich höchstens Gedanken darüber machte, welche Anweisungen sie der
Köchin für die Zubereitung des Abendessens zu geben gedachte.
    Sich
derart über eine junge Dame den Kopf zu zerbrechen, war bei Neal Scott nicht
die Regel. Seit Annabelle - »Du hättest mir
eher reinen Wein einschenken sollen, Neal. Ich kann mich in dieser Stadt nicht
mehr sehen lassen. Du hast mich zum Gespött der Leute gemacht.« - war er bemüht,
für eine junge Dame kein allzu großes Interesse zu entwickeln. Da aber seine
Reise in Perth endete,
während Miss Conroy nach Adelaide und somit mehr als tausend Meilen weiterfuhr,
sah Neal keine Gefahr für sich, wenn er die Schranken, die er um sich errichtet
hatte, gerade mal weit genug absenkte, um sich in Gedanken mit ihr zu
beschäftigen.
    Warum war
sie zum Beispiel nicht verheiratet? Sie schien nicht mal verlobt zu sein oder
einen Verehrer zu haben. Kaum zu glauben. Und dieser Albtraum, der sie da
nachts im Schlaf hatte laut aufschreien lassen? Er war davon aufgewacht, hatte
lange schlaflos dagelegen und darüber spekuliert, weshalb eine bezaubernde
junge Dame wie sie von bösen Träumen heimgesucht wurde. Möglicherweise hing das
mit ihrem kürzlich verstorbenen Vater zusammen. Ihr graues, an Manschetten,
Kragen und Knöpfen mit schwarzer Paspelierung eingefasstes Kleid und die Haube
aus schwarzen Spitzen auf ihrem dunklen Haar deuteten an, dass sie in Trauer
war (obwohl ihr nach Neals Meinung die Farbe stand und das hinreißende Graublau
ihrer Augen betonte).
    Einer von
der Mannschaft trat in den Salon und meldete Dr. Applewhite, einer der
Aussiedler bedürfe dringend seiner Hilfe.
    »Um wen
geht es denn?«, fragte der Doktor mit vollem Mund.
    »Um den
kleinen Jungen, Sir.«
    Nicht ohne
einen wehmütigen Blick auf seinen Teller hievte der Arzt seine Körperfülle aus
dem ächzenden Stuhl, entschuldigte sich und verließ hinter dem Matrosen die
Tischrunde.
    Tief im
Bauch des Schiffes, wo über zweihundert Personen im Gestank von Erbrochenem
und Fäkalien schliefen, saß Agnes Ritchie im
Dunkeln und strich ihrem kleinen Donny immer wieder über den Kopf. Noch vor
kurzem war er gesund und kräftig gewesen. Das hatten die Ärzte in London
bestätigt.
    Weil die
Reise nach Australien lang und beschwerlich war, hatte man noch vor dem Ablegen
des Schiffs im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung, der sich die Aussiedler zu
unterziehen hätten, Schwache und Unterernährte ausgesondert. An Bord durften
vornehmlich kleine Familien gehen, besonders solche mit schon etwas älteren
Kindern, die nach Ankunft in der neuen Heimat sofort eine Arbeit aufnehmen
konnten. In den Kolonien musste jeder arbeiten, von Sträflingen über Siedler
bis hin zu Bürokräften. Und keiner war fleißiger als Agnes Ritchie, eine schottische Presbyterianerin mit abgeschlossener Ausbildung zur
Weißnäherin und Schneiderin.
    In Sydney
wartete eine gute Stellung auf sie - mit dem dreifachen Lohn dessen, was sie
in Glasgow verdienen konnte. Darüber hinaus wurde ihre Passage bezahlt. Noch
im Aussiedlerlager am Hafen, wo sich alle sammelten, bis es Zeit war, an Bord
der Caprica zu gehen,
hatte sie gebangt, dass durch das plötzliche Untertauchen ihres Mannes ihr Billet ungültig gemacht werden würde. Aber die zuständigen Beamten zeigten
Verständnis - die Verheißung von Arbeitsplätzen und Land in Übersee sei zwar
verlockend, hatten sie gemeint, wenn es dann aber tatsächlich so weit sei, an
Bord zu gehen, würden viele einen Rückzieher machen und im Lande bleiben. Dies
genau hatte Andrew, Agnes' Mann, getan; er hatte sie noch gebeten, mit ihm
wieder nach Schottland zurückzukehren, und als sie ablehnte, war er

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