Wood, Barbara
stieg und den Fuß auf den roten Teppich setzte. Aber jeder kannte
Hannah Conroy, war also nicht überrascht.
Die
Empfangshalle war zu einer Kunstgalerie umgestaltet worden, Bilder hingen an
den Wänden und waren auf Staffeleien ausgestellt. Ein Streichquartett spielte
Mozart, während sich livrierte Lakaien durch die Menge schlängelten und
Tabletts mit gefüllten Champagnergläsern und Platten mit kleinen Häppchen
anboten. Kronleuchter mit hundert Kerzen und dazu die silbernen Kandelaber auf
Regalen und Tischen ließen die Eingangshalle in gleißendem Licht erstrahlen.
Die Damen präsentierten sich als glitzernde Schmetterlinge in Abendkleidern aus
Seide und Satin in allen Farben des Regenbogens und funkelndem Geschmeide; die
Herren trugen über gestärkten Hemden Schwarz oder Grau, und ihre Schuhe waren
auf Hochglanz poliert.
Als sie
die Freundin durch die hohen Glastüren eintreten sah, ging Blanche mit ausgestreckten
Armen auf sie zu. »Du siehst hinreißend aus, Hannah.« Sie freute sich, dass
Hannah ihren Rat befolgt und die beste Schneiderin der Stadt aufgesucht hatte.
Das schulterfreie und mit zarter Spitze eingefasste cremefarbene Satinkleid
zeugte von exquisitem Geschmack.
»Alle sind
gekommen«, stellte Blanche, die ein atemberaubendes Abendkleid in Dunkelrot
trug, das ihre violetten Augen betonte, zufrieden fest. »Nur der Gouverneur hat
abgesagt und sein Bedauern ausgedrückt, aber das war zu erwarten. Dafür ist
seine Frau hier. Sie hat bereits ein Auge auf ein Bild geworfen, das hundert
Pfund einbringen dürfte.«
Hannah
reichte ihr Cape einer Hotelbediensteten und hielt Ausschau nach einem ganz
bestimmten Gesicht. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals derart nervös
gewesen zu sein, so aufgeregt und gleichzeitig so verängstigt.
Nach dem
Treffen mit Blanche vor dem Hospital war sie sofort ins Addison Hotel gefahren,
wo die letzten Vorbereitungen für die heutige Gala im Gange waren. Blanche
hatte gesagt, sie habe hier Mr. Scott getroffen, aber nun musste Hannah
feststellen, dass er gerade gegangen sei. Sie war nach Hause gefahren, um die
auf sie wartende Post von zwei Wochen durchzusehen; es konnte ja sein, dass
sich Neal gemeldet hatte. Und in der Tat erfuhr sie von Mrs.
Sparrow, ihrer Haushälterin, dass ein amerikanischer Gentleman
vorgesprochen und eine Nachricht hinterlassen habe. »Ich bete zu Gott, dass Du
die Hannah Conroy bist«, hatte Neal geschrieben, »mit der ich sechs Monate auf
See verbracht habe, auf einem Schiff namens Caprica.«
Da Hannah
nicht wusste, wo Neal wohnte oder wie sie ihn ausfindig machen konnte, hatte
sie wohl oder übel die ihr unendlich scheinenden Stunden bis zum Abend und
einem Wiedersehen mit ihm ausharren müssen.
»Und der
amerikanische Fotograf?«, fragte sie mit wild klopfendem Herzen. Sie musste
sich anstrengen, um sich bei diesem Lärm und Gelächter Gehör zu verschaffen.
»Ist er hier?«
»Mr. Scott
musste noch mal kurz weg, sagte aber, er wäre gleich wieder da«, gab Blanche
Auskunft, wobei sie immer wieder zum Haupteingang schielte. Würde Marcus
kommen? Wenn ja, hatte Blanche sich vorgenommen, ihn beiseitezunehmen und ihm
zu erklären, weshalb sie es vor einem Jahr abgelehnt hatte, ihre wohlhabenden
Freunde für eine Führung durch sein Hospital zusammenzutrommeln, um damit
Spenden zu sammeln.
Plötzlich
war er da, überließ sein Operncape und seinen Zylinder einem der Bediensteten.
Blanche war überglücklich, ihn zu sehen. Unglaublich distinguiert wirkte er in
seinem schwarzen Cutaway und mit den silbernen Strähnen in seinem schwarzen
Haar, die durch das Licht der Kronleuchter seidig schimmerten.
Blanche
durchschoss heftiges körperliches Verlangen, und sie musste sich eingestehen,
dass ihre Gefühle für ihn seit der Zeit, da er auf Abstand zu ihr gegangen war,
keineswegs schwächer geworden waren. Sie erinnerte sich noch ganz genau, wann
er ihr nach zwei Jahren guter Freundschaft (ohne dass es irgendwann zu
Intimitäten gekommen wäre) plötzlich die kalte Schulter gezeigt hatte. Sie wusste,
wie sehr ihm sein Hospital am Herzen lag, dass es sein Leben war. Aber wie
konnte sie ihm sagen, dass sich allein schon beim Anblick des Gebäudes ihr
Magen zusammenzog und es ihr eiskalt in die Knochen fuhr? Als sie seine Bitte
ablehnte, mit einer Führung eine Spendensammlung zugunsten seines Hospitals zu
organisieren, hatte sie nicht damit gerechnet, dass er auf diese Weise
reagieren würde und sich lediglich gewundert, dass ab sofort
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