Wood, Barbara
schwer zu
definieren. Um aber sicherzugehen, ist eine weitere Untersuchung nötig.«
Sie hatte
mit einem dünnen, an einem Ende zugespitzten Rohr, das sie als Trokar
bezeichnete und das an einem dünnen Gummischlauch befestigt war, vorsichtig in
die Haut gestochen. Die Schmerzen hatte Blanche in Kauf genommen, der Eingriff
hatte ja auch nicht lange gedauert. Zunächst eine Dosis Laudanum, dann ein kurzer Einstich. Fast unmittelbar darauf dann Miss Conroys
Beurteilung: »Krebs scheidet aus. Es handelt sich hier um eine Zyste. Diese
hellgelbe Flüssigkeit, die ich dem Knoten entnommen habe, ist der Beweis.«
Nachdem die Zyste trockengelegt, die Wunde verbunden war und Blanche sich
wieder angezogen hatte, gab Hannah ihr ein Rezept für Laudanum. »Obwohl ich meine Instrumente desinfiziere, sollten Sie sorgfältig
darauf achten, ob es zu einer Entzündung kommt.«
Das war
drei Jahre her, und seither waren sie befreundet.
Blanches Lobgesang auf Melbournes neue »Ärztin« bescherte Hannah mehr
Patientinnen, als sie behandeln konnte. Nicht nur wegen ihrer Heilmethoden war
sie gefragt; allein die Tatsache, dass sie eine Frau war, der gegenüber man
nicht wie bei einem männlichen Doktor vor Scham in den Boden versank, bescherte
ihr regen Zulauf. Und übereinstimmend lobte man, wie behutsam und sanft sie mit
einem umging, ganz im Gegensatz zu manch männlichen Ärzten, die reichlich
ungehobelt sein konnten.
»Übrigens«,
sagte Blanche, »wird heute Abend noch jemand anwesend sein. Cecily hat einen weiteren Künstler entdeckt.«
Hannah
lächelte. Cecily Aldridge
sammelte Künstler wie andere Leute Kunstobjekte.
»Einen Fotografen. Einen Amerikaner. Er ist eben erst in Melbourne
angekommen. Cecily hat ihn
überredet, heute Abend zehn seiner Aufnahmen auszustellen. Sie findet seine
Arbeiten absolut brillant und meint, wenn wir sie verkaufen, könnten wir
beträchtliche Einnahmen erzielen.«
»Ein
Amerikaner?«, fragte Hannah nach, und merkte, wie es plötzlich in ihren Ohren
dröhnte. »Kennst du ...«, sie rang nach Atem, »Weißt du, wie er heißt?«
»Ich habe
ihn gerade kennengelernt und gehört, er sei gerade dabei, seine Bilder im
Addison aufzuhängen. Er heißt Neal Scott und ist erst kürzlich aus Sydney nach
Melbourne gekommen, zusammen mit seiner Verlobten.«
40
Blanche
Sinclair rang nervös die Hände, schickte ein Stoßgebet ums andere zum Himmel,
auf dass ihr Wohltätigkeitsball Erfolg zeitigen - und auch Dr. Marcus Iverson
erscheinen würde.
Die Gala
fand im neuen Addison Hotel in der Collins Street statt,
einem dreistöckigen Gebäude aus einheimischem Blaustein mit einer von Säulen
flankierten, mit Bögen verzierten und von großflächigen Glasfenstern
unterteilten Fassade. Das Addison rühmte sich, über zweihundert Zimmer zu
verfügen, einen Ballsaal, einen Herrenfrisör und vier Restaurants und wurde
heute Abend offiziell eröffnet. Blanche war mit einem vielversprechenden
Vorschlag an den Eigentümer herangetreten: dass es sich bestimmt für ihn auszahlen
dürfte, die Eröffnung seines Etablissements - des größten Hotels in Melbourne -
mit einem gesellschaftlichen Ereignis zu feiern, mit einer
Wohltätigkeitsveranstaltung mit Spendenaktion zugunsten eines Waisenhauses. Die
oberste Gesellschaftsschicht von Melbourne werde zugegen sein, hatte Blanche
ihm versichert, und denken Sie doch nur mal an die armen mutterlosen Kinder.
Da sie
vermutete, dass es nicht genug sei, ihre reichen Freunde einen Blick in das
neue Hotel werfen zu lassen, war sie auf die Idee verfallen, den Galaabend mit
einer Ausstellung von Werken Melbourner Künstler von Rang und Namen zu
verbinden. Wenn dann noch Champagner floss und ein
Streichquartett sowie ein Soloauftritt von Alice Star auf dem Programm standen,
konnte Blanche eigentlich sicher sein, dass sie ausreichend Spenden sammeln
würde, um mit dem Bau eines neuen Waisenhauses beginnen zu können.
Lampenanzünder
waren mit ihren langen Stangen unterwegs, um die Kerzen in den Straßenlaternen
anzuzünden, deren Glaskugeln, kaum dass sie aufleuchteten, angenehm die Nacht
erhellten. Die Front des Addison war mit zusätzlichen Laternen bestückt, und
durch die großflächigen Glasfenster drang helles Licht, als elegant gekleidete
Gäste in prächtigen Kutschen vorfuhren und jeweils zu zweit das Hotel betraten.
Obwohl der eine oder andere Herr allein kam und verschiedentlich Damen zu
mehreren eintrafen, war es nur eine Dame, die ohne Begleitung aus ihrer
Kutsche
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