Wood, Barbara
entsprechend an und fuhr in meinem Stadtkupee hin. Aber kaum war ich
angekommen und ausgestiegen, begann mein Herz zu rasen, mein Mund war auf
einmal wie ausgetrocknet, der Schweiß brach mir aus allen Poren. Keinen Schritt
konnte ich tun, ich konnte mich nicht dazu überwinden, den anderen zu folgen,
die bereits die Stufen zum Hospital hochgingen und durch den Eingang das Innere
betraten. Hannah, das mag dir seltsam erscheinen, aber ich geriet in Panik.
Deshalb machte ich kehrt und fuhr wieder nach Hause.«
Hannah
legte ihr die Hand auf den Arm. »Das solltest du ihm unbedingt sagen.«
»Ich weiß
nicht, wie. Nun ja«, Blanche drückte die Schultern durch und reckte das Kinn,
»vielleicht ist es für Marcus und mich besser so. Nicht jede Frau braucht einen
Mann. Das Leben hat noch anderes zu bieten.«
Blanche
Sinclair war vor elf Jahren aus England gekommen, als neunzehnjährige Braut.
Ihr Gatte Oliver, schon damals sehr erfolgreich, hatte nach und nach in
Australien sein Vermögen verdreifacht, ehe er unerwartet, mit achtunddreißig
Jahren, an den Folgen eines Sturzes von einem nicht zugerittenen Pferd
verstarb. Die sieben Ehejahre waren kinderlos geblieben, wofür Blanche die
Schuld eher bei sich suchte, ohne sehr darunter zu leiden. Sie hatte sich nie
danach gesehnt, Kinder zu haben, hatte nicht einmal beim Bau ihres prachtvollen
Hauses ein Kinderzimmer eingeplant. Blanches Sehnsucht
wies in eine andere Richtung. Nur in welche, das vermochte sie nicht zu sagen.
Sie wusste
nur, dass sie etwas tun, ein Ziel
haben wollte. Sie beneidete ihre beiden erfolgreichen Freundinnen: Alice, die
sich die Bühne erobert hatte, und Hannah, die einen heilenden Beruf ausübte.
Als Blanche beide einmal gefragt hatte, wie ihnen bewusst geworden war, wozu
sie sich berufen fühlten, hatte Alice gesagt, Singen sei ihr ein
Herzensbedürfnis, und wenn ihr das verwehrt werde, würde sie sterben. Hannah
hatte vorgebracht, dass sie von Anfang an in die Fußstapfen ihres Vaters habe
treten wollen. Blanche hingegen war eine derartige Leidenschaft fremd, sie
hatte sich noch nie zu etwas »berufen« gefühlt.
Sie
wusste, dass sie dafür bekannt war, eine der aktivsten Gesellschaftsdamen
Melbournes zu sein. Erst gestern Abend auf dem Ball hatte Mrs. Beechworth erklärt: »Mrs. Sinclair, ich weiß gar nicht, woher Sie die
Energie für Ihre vielen Projekte nehmen!« Blanche hatte das Kompliment lächelnd
entgegengenommen. Was Mrs. Beechworth
nicht wissen konnte, war, dass diese Unternehmungen Blanche nicht erfüllten
und dass solche Stunden umso leerer waren, je mehr sie ihre Zeit damit
ausfüllte.
Aber sie
versagte es sich, einfach herumzusitzen und darauf zu warten, dass sich von
selbst ein Lebensziel abzeichnete. Sie war offen für alles Neue - übte sich im
Bogenschießen, beschäftigte sich mit Bildhauerei, legte eine Muschelsammlung an
-, immer auf der Lauer nach »ihrer« Berufung, so als wäre diese in Reichweite,
gleich um die Ecke. Und halb im Scherz hatte sie einmal zu Hannah gesagt: »Ich
brenne vor Verlangen nach einem brennenden Verlangen.«
Sie hatte
den Fehler gemacht, dies ihrem Bruder in England kundzutun, worauf er
zurückgeschrieben hatte: »Du bist rastlos, liebe Blanche, weil Du einsam bist.
Du brauchst einen Ehemann. Und da Dir offensichtlich eigene Kinder versagt
bleiben, wäre es nur vernünftig, wenn Du Dir so schnell wie möglich einen respektablen
Witwer mit Kindern suchtest, um die Du Dich dann kümmern könntest. Jetzt, da
Vater nicht mehr unter uns weilt, trage ich die Verantwortung dafür, dass Du in
geregelten Verhältnissen lebst. Für den Fall, dass Du keinen Ehemann findest,
schlage ich vor, dass Du nach England zurückkehrst. Mary und ich werden Dir
Platz in unserem Haus einräumen, und Du kannst dann zur Erziehung Deiner
Nichten und Neffen beitragen.«
Ab sofort
hatte Blanche ihm ihre persönlichen Gefühle verschwiegen. Musste denn, sobald
eine Frau Probleme hatte, die Antwort darauf immer ein Mann sein? Selbst Frauen mit Ehemännern und Kindern ließen es
sich nicht nehmen, weitere Ziele anzustreben. Martha Barlow-Smith,
Blanches beste Freundin, übergab ihre fünf Kinder der Obhut von
Kindermädchen und Gouvernanten, um der Aquarellmalerei zu frönen.
Aber ...
war dies eine Berufung, fragte sich Blanche zum ersten Mal, oder nicht doch nur
eine Liebhaberei, ein Zeitvertreib? War Martha besessen davon, unbedingt malen
zu müssen, oder
suchte sie nur Ablenkung von Haus und Kindern?
Blanche
war die
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