Wood, Barbara
bis zur Eingangstür vorgedrungen, wurde aber gerade noch rechtzeitig
von Neal gepackt und zurückgerissen. »Aus dem Weg!«, grunzte der Mann. »Nicht
genug, dass sie uns verfluchen und durch eine Seuche ausrotten wollen. Jetzt
haben sie vor, uns auch noch mit ihren Speeren zu durchlöchern.«
Fintan kam
Neal zu Hilfe, und gemeinsam überwältigten sie den aufgebrachten Mann. Iverson
hob beschwichtigend die Arme, erntete aber nur lauten Protest. Ohne sich seine
eigene Angst anmerken zu lassen, rief er so laut er konnte: »Wir haben nichts
von den Eingeborenen zu befürchten! Wenn sie vorhätten, uns umzubringen, hätten
sie es längst getan. Wenn Sie einverstanden sind, werden wir sie fragen, was
sie wollen. Vielleicht ziehen sie dann ab.«
»Kurzen
Prozess sollten wir mit ihnen machen!«, schallte es aus der Menge, gefolgt von
johlender Zustimmung.
Neal
wandte sich an Hannah. »Bleib du hier, Hannah. Ich will mal sehen, ob ich mich
mit ihnen verständigen kann.«
Alle
verfolgten gespannt, wie Neal langsam auf die Aborigines zuging, die sich samt
und sonders erhoben hatten, schweigend, ohne ein Wort miteinander zu wechseln.
Wer mochte den Befehl dazu gegeben haben? Mit gemischten Gefühlen näherte sich
Neal der Gruppe, dachte einerseits mit Schrecken an das Massaker in Galagandra,
empfand andererseits Bewunderung und Respekt bei der Erinnerung an Jallara und
ihr Volk. Er musterte sie - vor allem die mit Ketten und Federn geschmückten
weißhaarigen Älteren - und fragte dann auf Englisch: »Wer von euch ist der
Stammesführer?«
Lampen und
Kerzen in den Fenstern des Hospitals erhellten die Szene. Mit ihrer weißen
Bemalung wirkten die Eingeborenen wie Geister aus einer anderen Welt. Für Neal
sahen sie eigentlich aus wie Jallaras Volk, aber wiederum auch nicht.
Als er
keine Antwort erhielt, versuchte er es mit ein paar Worten in Jallaras
Dialekt, Sätze, die ihm Thumimburee beigebracht hatte, die aber nur unter
Männern benutzt wurden. Zu seiner Überraschung wandte sich daraufhin ein
weißhaariger Älterer ihm zu. Bewegung kam in die Zuschauer, ein Raunen ging
durch die Menge, Fäuste wurden geballt, zum Zeichen der Bereitschaft, den
weißen Mann zu verteidigen.
Erst als
Neal den Satz wiederholte, trat ein Mädchen mit langem, seidig glänzendem
schwarzen Haar vor. Sie war barfuß und trug ein einfaches Kleid. »Hallo, Sir,
ich bin Miriam. Wir sprechen nicht Ihre Sprache.«
Er schaute
in ihr rundes Gesicht, in ihre tiefliegenden schwarzen Augen. Aber es hat
geklappt, stellte er befriedigt fest. Diesem alten Knaben ist nicht entgangen,
dass ich in einem Dialekt der Aborigines gesprochen habe.
»Ich
möchte mich mit eurem Stammesführer unterhalten, Miriam. Kannst du mir dabei
behilflich sein?
»Der Vater
meines Vaters ist Stammesführer. Ich spreche Englisch. Ich sage, was Vaters
Vater sagt.«
Mit allen
Zeichen des Respekts richtete Neal daraufhin - auf dem Umweg über das Mädchen -
das Wort an den Alten: »Weshalb ist dein Volk hergekommen?«
Nachdem
Miriam ihrem Großvater die Frage übersetzt hatte, übersetzte sie auch dessen
Antwort: »Er sagt, er kann mit weißem Mann nicht darüber sprechen. Das ist
heilig. Tabu.«
Neal
überlegte kurz, musterte den weißhaarigen Alten mit dem langen, ebenso weißen
Bart, der da vor ihm stand und ihn unter einer dicken Schicht kalkweißer Farbe
aus dunklen Augen ansah. »Warum seid ihr aufgestanden, als die weiße Frau aus
dem Gebäude kam?« Er deutete auf Hannah, aber seine Frage wurde mit eisigem
Schweigen und teilnahmslosem Gesichtsausdruck quittiert.
Er
versuchte es mit einem anderen Köder. »Welcher Traumpfad ist dies?«
Auf
Miriams Übersetzung hin sah der Stammesführer Neal verwundert an und ließ ihn,
während Miriam wiederum seine Antwort übersetzte, nicht aus den Augen.
»Krokodil-Traumpfad«,
sagte sie, und Neal zeigte durch ein Nicken an, dass er verstanden hatte.
Er klopfte
sich auf die Brust. »Ich bin Thulan.«
Da der
Alte mit dem Begriff offenbar nichts anfangen konnte, fügte Neal hinzu:
»Miriam, sag dem Vater deines Vaters, dass mein Traumzeitgeist eine Eidechse
ist, die der weiße Mann stachliger Teufel nennt. Kennst du das Wort dafür?«
Sie nickte
nachdrücklich und sprach mit dem Alten, der daraufhin verblüfft die Brauen
hochzog.
Durch
diesen Teilerfolg ermutigt, knöpfte Neal sein Hemd auf und entblößte seine
Brust. Überraschtes Raunen angesichts der dort sichtbar werdenden Tätowierungen
erhob sich unter den weißen
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