Wood, Barbara
besuchen. Hannah hatte zurückgeschrieben und ihm von ihrem
neuen Leben in Mrs. Throckmortons
Privatpension berichtet und von ihrem Vorhaben, so schnell wie möglich eine
Praxis zu eröffnen. Abschließend hatte sie die Hoffnung zum Ausdruck gebracht,
ihn im kommenden Oktober wiederzusehen.
Inzwischen
waren es bis dahin nur noch acht Monate, und Hannah war so gut aufgelegt, dass
sie beschloss, sich nach einer zusätzlichen Arbeitsstelle umzusehen, um in der
Zeit, die sie nicht in der Praxis von Dr. Davenport verbrachte,
noch anderswo unterzukommen und somit die ganze Woche hindurch Geld zu
verdienen. Der Nächste auf ihrer Liste war Dr.
Young in der Waymouth Street.
Als sie
auf den zwischen zwei unbebauten Grundstücken errichteten kleinen weißen
Flachbau zuging, um den herum sich vertrockneter Rasen zog, sah sie eine
prächtige Kutsche mit zwei vorgespannten Pferden auf der Straße warten. Vom
Haus her näherte sich eine verstörte junge Frau. Das schwarze Kleid, die weiße
Schürze und das weiße Häubchen wiesen sie als Dienstmädchen aus. Sie blieb an
der Kutsche stehen, rang die Hände.
»Kann ich
Ihnen irgendwie helfen?«, sprach Hannah die junge Frau an, die allem Anschein
nach kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Auch mit ihrem Gesicht stimmte
etwas nicht.
»Ich weiß
nicht, was ich machen soll, Miss. Dr. Youngs Haushälterin
sagt, er ist in Sydney und kommt vielleicht gar nicht wieder. Und Miss Magenta geht's so schlecht, sie kriegen sie einfach nicht wieder wach!«
Hannah
spähte hinüber zu dem kleinen Haus und sah erst jetzt, dass jemand das
Messingschild des Arztes mit einem Tuch abgedeckt hatte. Ihr Blick streifte
die Kutsche - eindeutig das Gefährt einer wohlhabenden Familie. Sie schaute
wieder das Dienstmädchen an, in ihr besorgtes Gesicht mit den angstvoll
aufgerissenen blauen Augen.
»Ich
arbeite für Dr. Davenport ...«, fing
sie an.
»Der kommt
aber nicht!«, fiel ihr das Mädchen ins Wort. »Dr. Young ist der Einzige, der kommen würde! Was mach ich jetzt bloß? Ich krieg
mächtig Ärger, wenn ich ohne Doktor zu Hause auftauche.«
»Vielleicht
kann ich ja helfen«, erbot sich Hannah und fragte sich insgeheim, warum das
Mädchen so sicher war, dass Dr. Davenport dem Ruf
nicht Folge leisten würde. »Mein Name ist Hannah Conroy, ich habe Erfahrung im
Umgang mit Kranken.«
Die blauen
Augen wurden noch größer. »Sie, Miss?« Das
Dienstmädchen suchte die Straße ab, drehte und rang die Hände, als ob sie
vorhätte, sich die Finger zu verrenken.
»Wie
heißen Sie denn?«, fragte Hannah besänftigend.
»Ich bin
Alice. Und Miss Magenta braucht
unbedingt einen Arzt!«
»Was ist
denn passiert?«
»Das
wissen wir nicht. Sie hat sich nicht wohlgefühlt, und jetzt wacht sie nicht
mehr auf.«
»Sind Sie
sicher, dass Sie nicht zu Dr. Davenport wollen?
Seine Praxis ist gleich ...«
»Der kommt
nie und nimmer, und alle anderen Ärzte auch nicht!« Und weinend fügte Alice
hinzu: »Ist doch das Haus von Lulu Forchette«, so als würde dies alles
erklären.
Hannah
musterte den Kutscher, der völlig teilnahmslos auf seinem Bock hockte und eine
Zigarette rauchte. »Ich komme mit, Alice. Vielleicht kann ich ja etwas
ausrichten.«
Die Fahrt
führte aus der Stadt hinaus in eine Hannah noch unbekannte ländliche Gegend.
Hannah musste ihren Hut und die große Tasche festhalten, als die Kutsche über
die tiefen Spurrillen der zerfurchten Landstraße rumpelte und Staub und kleine
Steinchen durch das offene Fenster flogen. Draußen sah man sanft gewellte grüne
Hügel und dazwischen Ackerland und Schafpferche, Scheunen und Unterstände für
die Schafschur. Hütten und Häuser lagen weit auseinander, und einmal meinte
Hannah im Licht der untergehenden Sonne eine Kirchturmspitze durch die
Eukalyptusbäume hindurch auszumachen. Als sie einen dicht belaubten Hain
passierten, stob eine Schar weißer Kakadus auf, die sich, je mehr sie sich der
schräg stehenden Sonne näherten, rosa und orange verfärbten. Jetzt
verlangsamte die Kutsche ihr Tempo, um eine schmale Brücke zu überqueren, und
Hannah fuhr zusammen, als ein riesengroßes Tier von der Farbe tiefdunkler
Orangen mit anmutigen Sprüngen den Weg frei machte. Zum ersten Mal machte sie
Bekanntschaft mit einem Känguru.
Alice
sprach während der dreißig Minuten währenden Fahrt kein Wort. Auf ihrer
Unterlippe herumkauend, verdrehte und rang sie die Hände und überließ sich
ansonsten den Schaukelbewegungen der Kutsche. Hannah gewann den Eindruck,
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