Word-OleSte-DerTou
enttäuschend: Ich habe keine Ahnung. Irgendjemand hat den Beinamen irgendwann zum ersten Mal benutzt. Vielleicht ein Journalist, ich weiß es nicht. Wahrscheinlich musste es nach dem Schakal unbedingt wieder ein Tiername sein.« Er zuckte mit den Achseln, und wieder schien die Geste schmerzhaft für ihn. »Ich kann ja froh sein, dass sie sich nicht für Geier oder Igel entschieden haben. Und bevor Sie es erwähnen, nein, der Name hat nichts mit dem Song von Survivor zu tun.«
Trotz allem entschlüpfte Milo ein Grinsen.
»Jetzt darf ich Ihnen auch eine Frage stellen«, setzte Roth hinzu. »Was ist Ihre Meinung zum Schwarzen Buch?« »Was für ein Buch?«
»Sie wissen genau, was ich meine.«
Für die Subkultur des Tourismus stellte das Schwarze Buch so etwas wie den Heiligen Gral dar. Es war der geheime Leitfaden zum Überleben, den angeblich ein ehemaliger Tourist verfasst und in einundzwanzig Exemplaren rund um die Welt deponiert hatte. Die Legenden um das Schwarze Buch waren so alt wie der Tourismus. »Alles reiner Quatsch«, erwiderte Milo.
»Da sind wir uns also einig. Als ich mich selbstständig gemacht habe, dachte ich, das könnte doch nützlich sein, und habe zwei Jahre lang nachgeforscht. Es ist ein Hirngespinst. Vielleicht wurde das Gerücht von Langley in die Welt gesetzt oder von einem gelangweilten Touristen. Trotzdem eine nette Idee.«
»Finden Sie?«
»Klar. Was Stabiles und Fassbares in einer chaotischen Welt. Eine Bibel, die einem den Weg zeigt.«
»Zum Glück haben Sie dafür ja die richtige Bibel.«
Roth nickte. Dann wurde sein Ton ernst. »Bitte hören Sie mir zu. Sie und ich, wir sind Feinde, das verstehe ich. Aber glauben Sie mir: Der Mann, der mir das angetan hat, ist viel schlimmer als ich. Sie werden sich der Sache annehmen?«
»Na schön.« Milo war sich nicht sicher, wie lange sein Versprechen vorhalten würde.
»Gut.«
Samuel Roth beugte sich vor und tätschelte Milos Knie.
Dann lehnte er sich wieder an die Wand. Ohne zu zögern, biss er die Zähne zusammen. In seinem Mund knackte es wie von einer Nuss, und ein Hauch von Bittermandeln mischte sich in seinen Atem. Dieser Geruch war Milo schon einige Male in seinem Leben begegnet. Bei äußerst loyalen oder äußert verzweifelten Menschen. Ein schwerer oder ein leichter Abgang, je nach der eigenen Lebensphilosophie.
Die Augen des Attentäters wurden groß und waren so nah, dass Milo sein Spiegelbild in ihnen sah. In schneller Folge krampfte sich Roth dreimal zusammen, und Milo fing ihn auf, ehe er von der Pritsche rutschen konnte. Das gelbliche Gesicht sackte zurück, die Lippen weiß vor Schaum. Milo hielt eine Leiche in den Armen.
Er ließ den Toten auf die Pritsche sinken und wich zur Tür zurück, nachdem er sich die Hände an der Hose abgewischt hatte. Das letzte Mal, dass ihm so etwas passiert war, lag schon lange zurück, und selbst damals, als es viel häufiger vorkam, hatte er sich nie daran gewöhnen können. Das leblose Gewicht. Das schnelle Kaltwerden. Die austretenden Körperflüssigkeiten - da, Roths Overall wurde dunkel im Schritt. Das plötzliche Erlöschen des Bewusstseins, von allem, was dieser Mensch - egal ob gemein oder anständig - erlebt hatte. Es spielte keine Rolle mehr, dass er sich noch vor wenigen Minuten über die falsche Frömmigkeit dieses Mannes lustig gemacht hatte. Entscheidend war, dass in dieser Betonzelle eine ganze Welt aufgehört hatte zu existieren. Das war der Tod.
Milo erwachte aus seiner Benommenheit, als hinter seinem Rücken die Tür erzitterte. Er trat beiseite, um Sheriff Wilson hereinzulassen. »Hören Sie, ich muss hier schnell ein paar Leute ... « Er verstummte.
»Verdammt«, krächzte der S heriff. Furcht trat in sein Ge sicht. »Was haben Sie mit ihm angestellt?« »Das war er selbst. Zyanid.«
»Aber ... aber warum?«
Milo schüttelte den Kopf und trat durch die Tür. Er fragte sich, was Mary Baker Eddy über Selbstmord zu sagen hatte.
5
Special Agent J anet Simmons saß Milo an dem zerkratzten weißen Tisch im Verhörraum von Blackdale gegenüber. Trotz seiner beachtlichen Körpergröße war Special Agent George Orbach offensichtlich der Untergebene in diesem Gespann. Mehrmals verließ er das Zimmer und brachte ihnen Getränke in Styroporbechern, die er ungeschickt umklammerte: Wasser, Kaffee, Limonade.
Simmons hatte einen flüssigen, einnehmenden Befragungsstil, der wohl zur neuen Ausbildung beim Heimatschutz gehörte. Sie beugte sich oft vor und hielt die Hände
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