Word-OleSte-DerTou
Gewitter hatte sich gleich wieder verzogen und nasse Straßen und feuchte, saubere Luft hinterlassen. Beim Fahren zündete sich Milo eine Davidoff aus der Packung an, die er sich an der Tankstelle gekauft hatte. Zuerst fühlte sich der Rauch gut an, dann auf einmal nicht mehr. Er musste schwer husten, doch er rauchte weiter. Momentan war ihm alles recht, um den Gestank des Todes zu vertreiben.
Bei dem ungewohnten Handy wusste er noch nicht, wie man den Klingelton veränderte. Als das Ding irgendwo auf der Route 18 nach Jackson zum Leben erwachte, trällerte es eine läppische voreingestellte Tonfolge. Er schaute nach, ob es seine Frau war, doch es war Grainger. »Ja?«
»Stimmt das, was die Zicke vom Heimatschutz sagt? Er ist tot?« »Ja.«
Pause. »Sehe ich dich heute noch im Büro?« »Nein.«
»Dann hol ich dich am Flughafen ab. Wir müssen ein paar Dinge besprechen.«
Milo schaltete ab und drehte das Radio an. Er tippte sich durch prasselnde Country-Sender, bis er es schließlich aufgab und seinen iPod herauskramte, mit dem er schon auf der Herfahrt ständig Musik gehört hatte. Er schob sich die Ohrhörer rein, klickte auf die französische Playlist und wählte Track fünf.
Schon erfüllte ihn eine schnelle, wirbelnde Melodie: »Poupee de cire, poupee de son«, ein von Serge Gainsbourg komponiertes Stück, mit dem die Sängerin France Gall 1965 für Luxemburg den Grand Prix Eurovision gewonnen hatte. Das Stück, das er Stephanie für ihren großen Auftritt beigebracht hatte und das er jetzt verpasste.
Er wählte Tinas Nummer. Ihre Voicemail meldete sich und verkündete, dass sie nicht da war und umgehend zurückrufen würde, sofern er eine Nachricht hinterließ. Er wusste, dass sie schon bei der Show war und neben einem leeren Stuhl ihrer Tochter lauschte, die Gainsbourgs phänomenalen Hit sang. Er hinterließ keine Nachricht. Er wollte nur ihre Stimme hören.
Tina begriff einfach nicht, wie irgendwelche durchgeknallten Eltern darauf kommen konnten, ihre siebenjährige Tochter in eine pinkfarbene Strumpfhose und ein Tanktop zu stecken, ihr Engelsflügel in der gleichen Farbe am Rücken zu befestigen und anschließend jeden Zentimeter mit glitzernden Pailletten zuzukleistern. Die Spiegelungen des Scheinwerferlichts waren so stark, dass man die Kleine kaum erkennen konnte, während sie zu einem Tanzbeat mit elektrischen Gitarren von links nach rechts hüpfte und ihre geträllerte Version von »I Decide« aus - wie die Rektorin verkündet hatte - »dem Disney-Kinohit Plötzlich Prinzessin 2« zum Besten gab. Vielleicht war das Stück gar nicht so schlecht, doch an ihrem zentral gelegenen Platz in der Aula der Berkeley Carroll School nahm Tina nichts anderes wahr als das Hämmern der Basstrommel und eine winzige, funkelnde Mädchengestalt, die über die schmerzlich kahle Bühne turnte.
Aber natürlich klatschte sie. Wie alle. Zwei Leute standen sogar auf und johlten - die durchgeknallten Eltern vermutlich. Neben ihr auf dem eigentlich für Milo reservierten Sitz applaudierte Patrick und flüsterte: »Der reine Wahnsinn! Ich muss gleich bei meinen Freunden von der Hollywoodagentur anrufen, damit sie sie sofort unter Vertrag nehmen.«
Tina war nicht unbedingt scharf auf Patricks Begleitung gewesen, aber da Milo wieder mal durch Abwesenheit glänzte, wollte sie Stef wenigstens einen kleinen Ersatz bieten. »Sei nicht so gemein«, zischte sie.
Milo hatte eine seiner knappen Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterlassen und wie üblich, ohne sich zu entschuldigen, nur davon gesprochen, dass ihm etwas »dazwischengekommen« war.
Na schön, hatte sie gedacht, wenn du unbedingt den Auftritt deiner Tochter verpassen musst, dann nehme ich eben ihren leiblichen Vater mit.
Dann hatte Milo selbst vorgeschlagen, Patrick anzurufen. »Für Stef. Und nimm es bitte auf Video auf.«
Das hatte Tina ein bisschen den Wind aus den Segeln genommen - das und die Tatsache, dass ihr Patrick in den letzten drei Tagen damit in den Ohren gelegen hatte, wieder zu ihm zurückzukehren. Milo, der sich irgendwo auf einer nebulösen Geschäftsreise herumtrieb, hatte davon keine Ahnung.
Bei Patricks erstem Versuch war sie mit dem Telefon in die Küche marschiert, damit ihre Tochter sie nicht hören konnte. »Bist du auf Drogen, Patrick?«
»Natürlich nicht«, erwiderte ihr ... Exfreund, was irgendwie komisch klang, aber sie waren ja nicht verheiratet gewesen. »Wie kannst du so was denken? Du weißt doch genau, wie ich zu Drogen
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