Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
fettig, ihre Zähne waren verfault, die Gesichter ausdruckslos. Allesamt waren sie in Tierfelle gehüllt, und Walter konnte nicht sagen, wer Mann und wer Frau war, wer Junge und wer Mädchen. Er stellte den Koffer in eine Ecke und schlurfte zur Theke hinüber, wo ein Heizstrahler rot glühte.
    Hinter der Bar war niemand, aber auf den Tischen standen schmutzige Teller und Bierflaschen, und zwei Eskimos saßen vor einer Portion Pommes frites und etwas Hamburgerähnlichem. Keiner sagte ein Wort. Walter merkte, daß er auffiel. Fühlte sich langsam unsicher. Räusperte sich. Scharrte mit den Füßen. Senkte den Blick zu Boden. Mit sechzehn war er einmal mit Tom Crane in Lolas Wagen in die Stadt gefahren, zu einer Adresse, die sie beide nicht kannten – Hundertdreißigste oder Hundertvierzigste Straße, so in der Gegend –, weil Tom in einer Anzeige etwas über billige Jazzplatten bei »Hearns« gelesen hatte. Es war das erste Mal, daß Walter in Harlem war. Daß heißt, nicht bloß durchgefahren. Während der einen Stunde, die sie dort gewesen waren, hatte er nur zwei weiße Gesichter gesehen – sein eigenes, gespiegelt in den verschmierten Schaufenstern, und Toms. Es war ein merkwürdiges Gefühl gewesen, das Gefühl, ein Fremder und fehl am Platz zu sein – und beinahe auch das Gefühl von Scham wegen seiner weißen Hautfarbe. In dieser Stunde hatte er sich verzweifelt und von ganzem Herzen gewünscht, schwarz zu sein. Darüber hinaus war nicht viel passiert. Sie hatten ihre Schallplatten gekauft, waren wieder ins Auto gestiegen und zurück in die Vorstadt gefahren, wo alle Gesichter weiß waren. Es war eine Lektion gewesen, kein Zweifel. Eine Erfahrung, die jeder einmal machen sollte.
    Irgendwie hatte er aber nie das Bedürfnis verspürt, so etwas noch einmal zu erleben.
    Wie lange stand er jetzt schon hier herum – eine Minute, fünf Minuten, eine Stunde? Es war schlimmer, viel schlimmer als Harlem. Er hatte noch nie im Leben einen Eskimo gesehen. Und jetzt war er von ihnen umzingelt. Es war wie auf einem fremden Stern oder so. Er traute sich nicht aufzublicken. Allmählich fand er, alles andere sei besser als das hier – sogar auf der Straße zu erfrieren, von den Wolfshunden in Fetzen gerissen oder von einem besoffenen Schneemobilisten überfahren zu werden, als plötzlich die Schwingtür zur Küche aufflog und eine übertrieben blonde, dick geschminkte, zaundürre Frau in Lolas Alter hereingehastet kam, in der einen Hand sechs langhalsige Bierflaschen, in der anderen einen Teller mit irgend etwas Dampfenden darauf. »Komme gleich, Süßer«, sagte sie und schob sich an ihm vorbei, die Arme in die Höhe gestreckt.
    Die Kellnerin schien den Bann gebrochen zu haben. Sie servierte das Bier und das dampfende Essen, und damit erwachte der Schankraum wieder zum Leben. Ein leises, unverständliches Gemurmel hob an. Ein alter Mann mit einem so toten und lederartigen Gesicht wie der Schrumpfkopf, den Walter einmal im Museum gesehen hatte, drängte sich vorbei und fiel praktisch der Länge nach über die Musikbox. Ein junger Bursche – ja, jetzt konnte er die Geschlechter unterscheiden – versuchte, seinen Blick aufzufangen, aber Walter sah schüchtern zur Seite. Die Kellnerin kam zurück, und als Walter in ihre müden grauen Augen sah, glaubte sich für einen kurzen Moment nach Peterskill zurückversetzt. »Was darf’s denn sein, mein Bester?« fragte sie ihn.
    Der Alte an der Musikbox versuchte, einen Vierteldollar einzuwerfen, ließ ihn zu Boden fallen und stieß leise einen herzhaften Fluch aus, dessen Bedeutung Walter nicht ganz mitbekam – eine Verwünschung, für die Seehunde, Kajaks und irgendeine Mutter herangezogen wurden, soviel war klar. Oder hatte er nicht doch etwas von Weißen gemurmelt? Von weißen Scheißern?
    »Äh«, Walter riß und zerrte ungeschickt an der Schnur seiner Parkakapuze, »äh, ja ... Kaffee«, krächzte er schließlich.
    Ohne Umschweife wandte sich die Kellnerin an den nächstsitzenden Eskimo, sagte nur: »Charley« und machte eine ruckartige Kopfbewegung. Mürrisch stand der Mann von seinem Hocker auf und wankte durch den Raum, seine Bierflasche in der Hand.
    »Aber ich –« protestierte Walter.
    »Hinsetzen«, sagte die Kellnerin.
    Walter setzte sich hin.
    Er trank die zweite Tasse Kaffee und begann wieder Anzeichen von Leben in seinen Fingerspitzen wahrzunehmen, als es dem Alten an der Musikbox endlich gelang, die Münze zu finden und in den Schlitz zu stecken. Man hörte ein

Weitere Kostenlose Bücher