Worldshaker
Zimmers. »Bücher und Betten und Kissen und Teppiche … ihr verdient nichts von alledem! Man sollte es euch wegnehmen!«
Col war entsetzt. »So. Jetzt reicht’s. Ich rufe die Wache.«
»Mach mal.« Ihre Augen verengten sich. »Dann erzähl ich denen, was du gemacht hast.«
»Was denn?«
»Du hast mich in deinem Schrank versteckt.«
»Die werden dir nicht glauben.«
»Wetten doch? Die werden glauben, dass wir zusammen sind.«
Col war ratlos.
»Ich hau jetzt ab. Vielleicht komm ich irgendwann wieder vorbei, ey.« Mit einem boshaften Lächeln bewegte sie sich auf die Tür zu. Gerade noch rechtzeitig bemerkte Col, dass sie sein Buch hinter ihrem Rücken versteckt hatte!
»Nein!« Wütend sprang er ihr nach und griff das Buch mit beiden Händen.
Doch sie ließ nicht los. Er rang mit ihr und versuchte, es ihr zu entwinden, Arm an Arm, Hüfte an Hüfte. Im Eifer des Gefechts vergaß er völlig seinen Ekel vor der Berührung mit einer Dreckigen.
Sie war wendig wie eine Schlange, aber er hatte das Buch sicher im Griff. Er zog es ihr aus der Hand und hielt es sich gegen die Brust. Mit einem Achselzucken wandte sie sich ab.
»Okay, Col-bert. Jetzt komme ich auf jeden Fall wieder.« Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit und lugte in den Gang. Dann blickte sie ihn noch einmal an. »Ach ja, du hast zwar nicht gefragt, aber ich heiße Riff.«
Im nächsten Augenblick war sie verschwunden.
08
Col stand vor dem Spiegel und begutachtete sein Spiegelbild. Von dem Kampf um das Buch war er immer noch außer Atem, und seine Wangen waren feuerrot. Er ging zum Waschbecken hinüber, feuchtete das Gesichtstuch an und presste es gegen seine Wangen. Es dauerte einige Minuten, bis sein Gesicht sich wieder normal anfühlte.
Dann zog er das Hemd aus und wusch sich Arme und Oberkörper … alles, womit er sie berührt haben konnte, selbst durch das Hemd hindurch. Er benutzte reichlich Seife und eine Bürste zum Abschrubben. Selbst das Waschbecken reinigte er, um auch den geringsten Dreck-Fleck zu entfernen.
Warum er? Warum jetzt? Gerade, wo alles in seinem Leben so gut zu laufen schien, musste diese eine Sache so fürchterlich schieflaufen. Es war alles so ungerecht.
Wenn sie doch nur zurückginge nach Unten … aber je mehr er darüber nachdachte, desto stärker zweifelte er daran, dass es möglich war. Ein Weg, der hinunterführte, wäre ja für die Dreckigen genauso gut wie einer, der hinaufführt. Die Erbauer des Worldshaker hatten gewiss sichergestellt, dass eben das nicht passieren konnte.
Zumindest sah er sie an diesem Nachmittag nicht wieder. Erst hatte er Tanzunterricht bei Mrs. Landry, dann Fechtunterricht bei Mr. Bantling, und anschließend Puzzles für Fortgeschrittene unter Anleitung von Mrs. Canabriss.
Danach war es Zeit zum Abendessen im Northumberland-Salon. Es gab Roastbeef, Kartoffeln und eine Art Kohl, mit jeder Menge brauner Sauce Imperial, aber Col konnte sich nicht so recht auf sein Essen konzentrieren. Ständig kamen ihm diese Worte in den Sinn: Ich komme wieder . Wie ein Fluch hingen diese Worte über ihm.
»Du isst ja gar nicht«, bemerkte Gillabeth ganz zutreffend. »Was ist los mit dir?«
Col griff sich Messer und Gabel und langte zu.
Auch Antrobus schien ihn zu beobachten. Cols kleiner Bruder hatte sein drittes Lebensjahr vollendet, ohne gar gelallt oder auch nur ein einziges Wort gesprochen zu haben. Seine Augen betrachteten jedoch alles mit einem Ausdruck äußerster Konzentration. Das ganze Essen hindurch waren sie auf Col geheftet. Das brachte ihn aus der Fassung. Da er sich ohnehin schuldig fühlte, witterte er überall Vorwürfe. Und er musste ständig an Riff denken. Es machte ihn wahnsinnig, dass ihm sogar ihr Name haften geblieben war. Bis heute hatte er nicht einmal gewusst, dass Dreckige überhaupt Namen hatten.
So viele Dinge gab es, die er nicht wusste und die er seine Familie nicht fragen konnte. Aber vielleicht könnte er ja Professor Twillip fragen. Er beschloss, nach dem Abendessen der Norfolk-Bibliothek einen Besuch abzustatten.
Die Bibliothek, auf Deck 44, hatte so etwas Beruhigendes, Zivilisiertes. In ihrem sanften Dunkel streckten sich endlose Regale voller ledergebundener Bücher, wohin man auch blickte. Als Col eintrat, fand er den Professor bei der Arbeit, im Schein einer einsamen Leuchtröhre.
»Hallo?« Das Geräusch von Cols Schritten ließ den Professor herumfahren. Er musterte seinen Besucher über die Gläser seiner Brille hinweg. »Ach, du bist’s, Colbert.
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