Worldshaker
Gesindlinge gibt es ja schließlich jede Menge.«
Col hatte das Gefühl, als ob ihm jemand in den Magen getreten hätte. Gillabeth beobachtete ihn aufmerksam.
»Willkommen im wirklichen Leben«, sagte sie. »Jetzt weißt du, was es bedeutet, Bescheid zu wissen.«
Sie drehte sich um und ging zum Ausflugscafé zurück. Während Col ihr nachsah, kam ihm die Stimme seiner Großmutter ins Gedächtnis:
»Was für eine süße kleine Nase er hat …
Was für dünne Ärmchen und Beinchen er hat …
Du isst nicht genug …
Es bricht einem das Herz …
So niedlich … so süß …
So prächtig und gesund, als ich ihn bekam –«
Col stürzte zum Ententeich; er dachte zuerst, er müsste sich gleich übergeben, doch dann stand er eine ganze Weile einfach zwischen dem grünen Schilf und sah einer Entenfamilie zu, die friedlich über das Wasser paddelte.
55
Am nächsten Morgen kehrte die Familie nach Deck 42 zurück, während das Gesinde zurückblieb, um sauberzumachen und zu packen. Der Urlaub war vorbei. In zwei Tagen sollte die Hochzeit gefeiert werden.
Col wusste noch nicht, wie er Wicky Popo retten sollte. Er musste einen Weg finden, um dem armen Gesindling zu essen zu geben – aber wie? Das ungeheuerliche Verhalten seiner Großmutter hatte ihn selbst so krank und überdrüssig gemacht, dass sogar Riff keinen Platz mehr in seinen Gedanken fand. Und seine zukünftige Braut war so weit entfernt wie der Mond.
Er blieb den ganzen Morgen in seinem Zimmer und grübelte über das Problem nach. Das leichte Klopfen an seiner Tür hörte er kaum. Im nächsten Moment trat eine plumpe Gestalt in grauer Uniform ein. Sie drehte sich um, um die Tür zu schließen. Dann drehte sie sich wieder um – und das stumpfe Gesicht des Gesindlings nahm Riffs wohlvertraute Züge an.
Col sprang auf. Riffs Anblick hob augenblicklich seine Stimmung.
»Wo bist du gewesen?«, fragte sie. »Ich habe euch alle heute Morgen zurückkommen sehen.«
»Familienurlaub auf dem Gartendeck. Ich –«
»Nun, wie ist es gelaufen?«
Col wusste nicht, was sie meinte. »Was?«
»Du und die Bande in der Schule. Hast du mit ihnen gekämpft?«
»Ja.« Col grinste. »Ich habe sie geschlagen! Zehn zu eins, und ich habe sie geschlagen!«
» Yay! « Sie sprang auf ihn zu und legte ihre Arme um ihn.
Er konnte kaum glauben, wie gut sich das anfühlte. Wie sie sich an ihn schmiegte und ihre Arme sich um ihn schlossen, und sie dann selbst zu umarmen! Er lachte laut heraus. Riff lachte auch, und er fühlte ihren warmen Atem an seinem Ohr. Er hatte keine Ahnung, wie lang es dauerte. Aber Umarmen und Lachen, das hätte für ihn eine Ewigkeit dauern können.
Riff trat etwas zurück, ihr Gesicht strahlte. »Erzähl’s mir.«
»Ich habe genauso gekämpft, wie du’s mir beigebracht hast. Ich musste nicht einmal überlegen. Mein Kopf hat die Kontrolle an meinen Körper abgegeben.«
Sie nickte. »Auf dem Stand warst du zu Beginn unserer letzten Trainingsrunde. Und dann ist dir die Konzentration abhandengekommen, erinnerst du dich?«
Col erinnerte sich. Er wünschte, er täte es nicht.
»Nachdem du versucht hast, mich zu küssen«, fügte sie hinzu.
Plötzlich war ihm unbehaglich zumute, so dicht bei ihr. Eine rote Hitze stieg ihm ins Gesicht. Sie sah ihn neugierig an.
»Es ist ja nichts dabei, es zu versuchen«, sagte sie und lehnte sich plötzlich vor, um ihn auf die Wange zu küssen.
»Nein!« Er zuckte zurück. »Das kannst du nicht machen!«
»Ich hab’s gerade getan.«
»Ich meine, du darfst es nicht.«
»Warum nicht?«
»Was würde Padder sagen?«
»Padder? Der würde dagegen sein. Der würde mir was erzählen!«
»Und das ist dir egal?«
»Er ist überfürsorglich. Das ist alles.«
»Überfürsorglich?«
»Wie große Brüder halt so sind.«
Einen Moment lang schien die Welt für Col stillzustehen.
»Brüder?«
»Ja.«
»Padder ist dein Bruder?«
»Ja.«
»Bist du dir sicher?«
»Natürlich bin ich sicher. Was ist das denn für ’ne blöde Frage?«
Am liebsten hätte Col angefangen zu singen. Er guckte sie an und konnte sich nicht sattsehen.
Sie musste ihm mit der Hand vorm Gesicht hin und her wedeln. »Hallo? Biste noch da?«
Col war so aufgewühlt, er traute seiner Stimme nicht. Er strahlte über beide Ohren, wie ein Idiot.
»Was dachtest du denn? Dachtest du, wir wären zusammen?«
»Nein … ja.«
»Aha. Gut, dass das geklärt ist.« Sie setzte sich aufs Bett und klopfte mit der Hand auf die Tagesdecke neben sich. »Und jetzt
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