Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Barock bis Klassik
Jahren, die Herder in Riga blieb, entstanden seine ersten bahnbrechenden Arbeiten, die »Fragmente: Über die neuere Deutsche Litteratur« (1767) und die »Kritischen Wälder« (1769). Mit diesen Werken, die der Geschichte und Wirkungsweise der Sprache, dem Zusammenspiel von Sprache und Denken, der Rolle nationaler und internationaler Traditionen in Literatur und Kultur, dem besonderen Wesen des künstlerischen Schaffensprozesses und verwandten Problemen nachgingen, hatte Herder Themen angesprochen, die im Zentrum der aktuellen Diskussion standen. Die Beliebtheit, die er in Riga genoss, weckte den Neid der Kollegen in Schule und Kirche. Im Sommer 1769 löste deshalb der 25-Jährige sein Dienstverhältnis auf und trat eine Seereise an.
REISEJAHRE
»Schöne Abende und Tage und oft eine spiegelglatte See – dabei aber langsame Fahrt …« So begann Herders Zeit des Reisens, über die er im »Journal meiner Reise im Jahre 1769« berichtet. Es waren die Lieder und Erzählungen der Matrosen, die in ihm neue Empfindungen weckten und seine bisherige Schriftstellerei als kleinliche Stubengelehrsamkeit erscheinen ließen. Nach kurzem Aufenthalt in Helsingör und der Schiffsreise durch den Ärmelkanal landete Herder am 15. Juli 1769 in Paimbœuf an der Loiremündung und fuhr weiter nach Nantes, wo er fast vier Monate blieb. Lektüre – vor allem Montesquieu, Rousseau, die Enzyklopädisten – und eigenes Schreiben nahmen ihn erneut in Anspruch. Von Paris aus reiste er Ende des Jahres nach Brüssel, von dort nach Amsterdam und Hamburg, wo er mit Gotthold Ephraim Lessing und dem Dichter Matthias Claudius zusammentraf. Nach einem kurzen Intermezzo als Reisebegleiter des Erbprinzen von Holstein-Gottorp sagte Herder am 24. August 1770 dem Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe zu, ein Kirchen- und Schulamt in Bückeburg zu übernehmen. Doch zunächst kam es zu einer folgenreichen Begegnung: In Darmstadt lernte Herder im August 1770 Maria Caroline Flachsland kennen, eine sehr empfindsame und literarisch gebildete junge Dame, die seine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Noch vor Antritt der Bückeburger Anstellung wollte sich Herder, der an einer chronischen Erkrankung der Tränendrüsen litt, einer Augenkur unterziehen. Am 4. September 1770 traf er zu diesem Zweck in Straßburg ein, einer für damalige Verhältnisse großen Stadt mit fast 50 000 Einwohnern, die er jedoch als »Lumpenloch«, als den »elendesten, wüstesten, unangenehmsten Ort« titulierte. Wieder einmal stürzte sich Herder, zumal auch die Kur nicht anschlug, in die Arbeit. Er begann mit der »Abhandlung über den Ursprung der Sprache«, die er 1772 mit überwältigendem Erfolg als Wettbewerbsschrift an der Berliner Akademie der Wissenschaften einreichte: In ihr lehnte er den von bisherigen Forschern verfochtenen göttlichen Ursprung der Sprache ab, zugunsten einer rein historischen Entstehung.
DER URSPRUNG DER SPRACHE
1770 stellte die Berliner Akademie die Preisfrage: »Haben die Menschen, ihren Naturfähigkeiten über-lassen, sich selbst Sprache erfinden können?« Herder nutzte die Gelegenheit, in einer Abhandlung seine sprachphilosophischen Betrachtungen auszuführen und die verbreiteten Ansichten vom göttlichen Ursprung der Sprache und die Theorien der französischen Aufklärer, die Sprache aus der Nachahmung tierischer Laute erklärten, zu widerlegen. Er führte die Entstehung der Sprache auf die geistige Natur des Menschen zurück, auf seine Gedächtnis- und Vernunftbegabung.
Die Zusatzfrage der Akademie: »Auf welchem Wege der Mensch sich am füglichsten hat Sprache erfinden können und müssen?«, beantwortete Herder mit der Fortentwicklung der Sprache durch die Bestimmung des Menschen zur Gesellschaft; der notwendige Kontakt zu anderen Menschen mache Sprache zwingend erforderlich. Die Verschiedenheit der Sprachen erklärte Herder durch unterschiedliche Lebensbedingungen. Herders Abhandlung erhielt den Preis der Akademie und war zukunftsweisend für die europäische Geistesgeschichte (erster Abschnitt aus dem eigenhändigen Manuskript Herders; Berlin, Archiv der Akademie der Wissenschaften).
Besonders folgenreich wurde die Straßburger Begegnung mit Johann Wolfgang Goethe, den er für die Schriften des Altertumsforschers Winckelmann, die Lyrik Klopstocks, den Geniekult Hamanns, die Volkspoesie, Homer, Shakespeare, das alttestamentarische Hohelied und den sagenhaften altgälischen Sänger Ossian (in Wirklichkeit eine zeitgenössische Fälschung) begeisterte.
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