Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Barock bis Klassik
damaligen geistigen Zentrum Deutschlands, zu Friedrich Schiller zu gehen. Hölderlin hörte dort Vorlesungen des Philosophen Johann Gottlieb Fichte, traf Novalis und Johann Wolfgang Goethe, der ihm allerdings höchst reserviert gegenüberstand. In jener Zeit entstanden Vorfassungen des »Hyperion«-Romans, der 1797 bis 1799 als experimenteller Briefroman »Hyperion oder Der Eremit in Griechenland«, in bewegend hymnischer und elegischer Sprache, erschien. Mit der Geliebten Diotima, die Platons »Gastmahl« entliehen ist, unternimmt es der Titelheld Hyperion (an anderer Stelle heißt es von ihm, er sei ein »Deutscher in griechischem Kostüm«), das Goldene Zeitalter der Menschheit in der Ägäis wieder heraufzuführen. Doch sein Kampf um die Befreiung Griechenlands vom türkischen Joch scheitert. Diotima stirbt, und Hyperion geht in das unfreundliche Deutschland, doch kehrt er bald nach Griechenland zurück.
HYPERION
Zu Hölderlins bekanntesten Werken zählt der lyrische Briefroman »Hyperion oder Der Eremit in Griechenland«, von dem es mehrere Fassungen gibt; die vierte zeigt den Dichter auf der Höhe seiner Kunst und reflektiert das Gesamtthema seines Werkes, die Berufung zum prophetischen Dichtertum.
Auf einer griechischen Insel aufgewachsen, erfährt Hyperion durch seinen Lehrer Adamas von der idealen Welt des Altertums. Daraufhin verlässt der junge Mann seine Heimat, begegnet in Smyrna dem Revolutionär Alabanda und setzt sich zum Ziel, Griechenland von der Fremdherrschaft der Türken zu befreien. Nach einem Streit kehrt Hyperion auf seine Heimatinsel zurück.
Mit Diotima erlebt er großes Liebesglück, zieht jedoch erneut in den Krieg. Da er erkennt, dass die hehren Ziele, die ihn antrieben, nicht mit Waffengewalt zu verwirklichen sind, sucht er den Tod in der Schlacht, überlebt aber. Diotima stirbt und er verlässt Griechenland Richtung Deutschland. Dort entsteht eine Scheltrede an die Deutschen, in denen er deren Lebens- und Gesellschaftsformen kritisiert. Am Ende zieht sich der desillusionierte Hyperion in ein Eremitendasein auf der griechischen Insel Salamis zurück.
DIOTIMA: IDEAL UND WIRKLICHKEIT
Die zweite Hauslehrerstelle fand Hölderlin 1796 in Frankfurt am Main, in der Familie des Bankiers Gontard. In dieser gehobenen, kultivierten Welt wurde dem in spartanischer Bescheidenheit, in einem pedantischen und pietistischen Umfeld aufgewachsenen Hölderlin sein zur Emphase aufgewühltes Gefühl zum Schicksal. In der kunstfreundlichen Atmosphäre des großbürgerlichen Frankfurter Hauses schien ihm der göttliche Grund der menschlichen Seele aufzugehen. Das Ziel seiner Sehnsüchte war nicht sein Zögling, die Tochter des Hauses, sondern vielmehr deren Mutter, die schöngeistige Bankiersgattin Susette Gontard. Das Ideal des schwärmerischen Jünglings schien in die Wirklichkeit hereingeholt worden zu sein. Was immer schon gebildete, feinsinnige Frauen für unzählige Dichter gewesen waren, das bedeutete und vereinte Susette Gontard für Hölderlin. Der junge Dichter stilisierte sie zur Diotima aus Platons »Gastmahl«.
Hölderlins Gedichte der damaligen Jahre erreichten eine neue innere Größe, indem er nun distanzierende antike Versmaße verwendete; gleichzeitig gewannen in ihnen Naturbilder eine neue Qualität. Der Dichter an sich wurde von ihm begriffen als »heiliger Seher«, vom enthusiastischen Gott Dionysos inspiriert, und zugleich als der »Sänger des Volks« auftretend, als der mythenkundige Mittler zwischen den Göttern und seinem Volke: »Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!/und einen Herbst zu reifem Gesange mir,/dass williger mein Herz, vom süßen/ Spiele gesättiget, dann mir sterbe!« (An die Parzen). Von Klopstock, vom jungen Schiller, von den Psalmen der Bibel und den griechischen Lyrikern übernahm Hölderlin seine Sehnsuchtsbilder, die mehr oder weniger in einen klassizistischen Rahmen gefügt sind. Doch vom höchsten Gipfel der Begeisterung fiel sein Dichterblick wieder in die hoffnungslos entgötterte deutsche Gegenwart; die Sprache wird dunkel, um das zu schildern: »Furchtbar ist’s, wie da und dort unendlich hin zerstreuet das Lebende Gott« (Patmos; Dem Landgrafen von Homburg).
SUSETTE GONTARD
(* 1769, † 1802)
Susette Gontard, in die sich Hölderlin verliebte, als er 1796 eine Stelle als Hofmeister ihres Mannes, des Großkaufmanns und Bankiers Jakob Friedrich Gontard antrat, war zu Beginn ihrer Bekanntschaft mit Hölderlin 26 Jahre alt und bereits vierfache
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