Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Barock bis Klassik
1788 besuchte der sensible Junge die pietistisch-protestantischen Klosterschulen in Denkendorf und Maulbronn – eine Zeit, die er als sehr bedrückend empfand. Von 1788 bis 1793 studierte er Philosophie und Theologie im Tübinger Stift, der Eliteschule der württembergischen Landeskirche. Zeitweise teilte er sich dort mit den späteren Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling eine Stube. Das Tübinger Stift ermöglichte den Stipendiaten – obwohl der Herzog von Württemberg die Zügel im Sinne konservativerer Erziehung anzuziehen versuchte –, in einem unvergleichlichen intellektuellen Klima die damals in Deutschland herrschende Begeisterung für die Französische Revolution und die Aufklärungsphilosophie Immanuel Kants auszuleben.
Die Ausbildung in Tübingen sollte Hölderlin eigentlich auf den von seiner Mutter gewünschten geistlichen Beruf vorbereiten. Doch unter dem Eindruck der Schriften des Philosophen Jean–Jacques Rousseau und der Oden eines Friedrich Gottlieb Klopstock, des großen »Messiassängers«, suchte der junge Mann stattdessen »die heilige Bahn« seiner wahren Bestimmung. Sein intellektueller und literarischer Ehrgeiz, so schrieb Hölderlin in einem Brief an seine Mutter, werde ihn in einer »friedlichen Pfarre« und »im ruhigen Ehestande« niemals glücklich werden lassen.
DIE TÜBINGER HYMNEN
1790 schloss Hölderlin mit Christian Ludwig Neuffer und Rudolf Magenau einen schwärmerisch ausgerichteten Dichterbund. Schon in der Maulbronner Zeit hatte Hölderlin begonnen, Verse zu verfassen. Neben Klopstock begeisterten ihn die angeblichen Dichtungen des sagenhaften altgälischen Sängers Ossian. Seine ersten Tübinger Gedichte besingen die Unsterblichkeit, die Menschheit, die Schönheit, die Freiheit und den Genius Griechenlands. Griechenland wurde dem Studenten zum Inbegriff einer Schönheit, die gleichbedeutend war mit persönlicher und gesellschaftlicher Freiheit. Darin übernahm Hölderlin voller Begeisterung die Grundüberzeugung des deutschen Archäologen Johann Joachim Winckelmann.
Für seine Oden (eine Form feierlich-erhabener Lyrik), Lieder und in erster Linie für die Hymnen, die Hölderlin in Tübingen schrieb, dienten ihm auch das Werk Friedrich Schillers, dessen Pathos, dessen Einsatz mythologischer Motive und dessen Reimstrophen als Vorbild. Gotthold Friedrich Stäudlin, der in seinem »Musenalmanach fürs Jahr 1792« die ersten Gedichte Hölderlins veröffentlichte, hatte die Verbindung zwischen dem schwäbischen Poeten und Schiller hergestellt. Dieser förderte Hölderlin in Zukunft, wo immer er nur konnte.
Die von einer Stimmung des Erhabenen und Großen getragenen Tübinger Hymnen sind insgesamt von einer aufklärerischen Aufbruchstimmung getragen, die aus dem revolutionären Frankreich herüberwehte; sie berufen sich auf das Naturrecht, kritisieren alle despotische Fürstenwillkür und verkünden einen Zukunftsoptimismus, dem Hölderlin auch in dem politisch bornierten, finsteren Deutschland Geltung verschaffen wollte. Das Volk, das er sich erträumte, sollte einmal »besser gedeihen unter der Freiheit heiligem erwärmenden Lichte, als unter der eiskalten Zone des Despotismus«. Was der Dichter gegenwärtig um sich sah, waren dagegen »Handwerker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Herren und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen«. Außerdem kündigen sich in den frühen Gedichten und vor allem in den Briefen auch schon psychisch labile Zustände, ein Schwanken zwischen Menschenscheu, Begeisterungsfähigkeit und Liebe, zwischen extremen Phasen des Stolzes, Ehrgeizes und tiefer Depression an.
EIN DEUTSCHER IN GRIECHISCHEM KOSTÜM
Absolventen des Tübinger Stiftes, die nicht als Theologen arbeiten wollten, mussten die kirchliche Behörde um Urlaub bitten und eine andere Berufstätigkeit nachweisen. Für eine solche taten sich jedoch nur wenige Alternativen auf, etwa die Existenz als freier Schriftsteller, eine Universitätsdozentur oder schließlich der Posten eines – oft ausgebeuteten und schlecht behandelten – Hofmeisters. Hölderlin blieb nur Letzteres übrig. Insgesamt viermal bekleidete er eine solche Stelle in adligen oder reichen Häusern. Das erste Engagement (1793–95) in Waltershausen bei Charlotte von Kalb endete in einem Zwist über Pädagogik und wurde im Unfrieden aufgelöst. So eröffnete sich für Hölderlin 1795 die Möglichkeit, nach Jena, dem
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