Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
sich in seiner hessischen Heimat erst andeutete. In der elsässischen Metropole erlebte er modellhaft die wachsende Macht einer neuen Geldaristokratie. Büchner war überzeugt, damit einen Blick in Deutschlands Zukunft getan zu haben, sollte es den demokratischen Kräften dort nicht gelingen, die Interessen der »kleinen Leute« gegen den Egoismus des liberalen Wirtschafts- und Finanzbürgertums durchzusetzen.
Mit der durchaus neuen Einsicht, »dass nur das notwendige Bedürfnis der großen Masse Umänderungen herbeiführen kann« und »alles Bewegen und Schreien der Einzelnen« dagegen »vergebliches Torenwerk« sei, kehrte Büchner im Spätsommer 1833 nach Darmstadt zurück.
»FRIEDE DEN HÜTTEN! KRIEG DEN PALÄSTEN!«
Im Herbst schrieb sich Büchner an der hessischen Landesuniversität in Gießen ein. Die politischen Verhältnisse empfand er als bedrückend. Einem Freund schrieb er: »Das arme Volk schleppt geduldig den Karren, worauf die Fürsten und die Liberalen ihre Affenkomödie spielen. Ich bete jeden Abend zum Hanf und zu den Laternen.«
Büchner suchte Rat in der Historie. Er vertiefte sich in die Lektüre der französischen Revolutionsgeschichte. Sie ließ ihn im Geschichtsprozess einen »grässlichen Fatalismus« walten sehen, einen oberflächlich vom Zufall beherrschten, chaotischen, ewigen Kampf zwischen Privilegierten und Unterdrückten. Jede durchgreifende Umwälzung musste daher in erster Linie sozial orientiert sein; ihre Ergebnisse mussten jenen zugute kommen, die sie mit Waffen und Fäusten bewirkt hatten.
Anfang 1834 entschied sich der 20-Jährige für eine direkte politische Mitarbeit. Unter den damaligen Bedingungen konnte die oppositionelle Arbeit aber nur konspirativ und im Verborgenen verrichtet werden. Büchners Konzept war pragmatisch und ohne Selbsttäuschung. Er wusste, wie schwierig es war, die Bauern und Handwerker »aus ihrer Erniedrigung hervor[zu]ziehen«, und dass in Deutschland nicht der Massenaufstand die Regel war, sondern das Ertragen der »dumpfen Leiden«. Ansatzpunkt für die revolutionäre »Bearbeitung des Volks« waren nach seiner Ansicht Flugschriften, die auf eindringliche Weise die Missverhältnisse schilderten.
Im Frühjahr 1834 gründete Büchner in Darmstadt und Gießen zwei Sektionen der »Gesellschaft der Menschenrechte«, einer revolutionären Geheimverbindung mit streng republikanischer und egalitärer Zielsetzung. Zeitgleich dazu entwarf er eine Flugschrift, die in Absprache mit einem der maßgeblichen hessischen Oppositionellen entstand, dem Schulrektor Friedrich Ludwig Weidig in Butzbach. Weidig war es, der dem Text den Titel »Der Hessische Landbote« gab, ihn obendrein aus taktischen Gründen vielfach abschwächte und auch tendenziell veränderte. Auf eine gemeinsame politische Strategie konnten sich Büchner und Weidig nicht einigen. Auch andere führende liberale Oppositionelle meldeten Vorbehalte gegenüber Büchners radikalem Konzept an. Hinzu kam der Verrat der Flugschriftenaktion durch einen Spitzel der großherzoglichen Regierung. Nach den ersten Verhaftungen meldete sich später auch ein Kronzeuge zu Wort. Insbesondere Büchner wurde daraufhin durch eine Denunziation schwer belastet. Doch weil der Untersuchungsrichter aus ermittlungstaktischen Gründen eine Verhaftung ablehnte, konnte Büchner im Spätsommer 1834 zunächst unbehelligt ins Elternhaus zurückkehren.
FRIEDRICH LUDWIG WEIDIG
(* 1791, † 1837)
Friedrich Ludwig Weidig, Schulrektor im hessischen Butzbach, war die zentrale Gestalt der hessischen Oppositionsbewegung. Büchner lernte ihn über seinen engsten Freund August Becker kennen und holte sich die nötigen Zahlenangaben und das Argumentationsgerüst für den »Hessischen Landboten« aus Weidigs Exemplar der »Allgemeinen Statistik des Großherzogtums Hessen«. Weidig bearbeitete Büchners »Hessischen Landboten« vermutlich in einer abschwächenden Art und Weise; über den Ton von Büchners ursprünglicher Fassung kann allerdings nur gemutmaßt werden, da der Originalentwurf nicht erhalten ist. Weidig wurde im Zuge der Ermittlungen verhaftet und kam vier Tage nach Büchners Tod im Darmstädter Untersuchungsgefängnis unter ungeklärten Umständen ums Leben. Bis zuletzt hatte er allen Versuchen seines grausamen und alkoholkranken Untersuchungsrichters, Geständnisse von ihm zu erzwingen, widerstanden.
In den folgenden Monaten schrieb Büchner »Dantons Tod«, ein Geschichtsdrama von shakespeareschen Dimensionen über die
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