Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
hatte er sich für seinen Alterssitz in Hademarschen ein Grundstück gekauft. Als im Juli 1879 seine Mutter starb, ließ er sich im Mai 1880 vorzeitig pensionieren. Storm wollte vor allem einen Neuanfang als Dichter wagen.
LEBENSABEND IN HADEMARSCHEN
Die Familie Storm musste ab April 1880 mit einer Wohnung vorlieb nehmen, da das Haus in Husum schon verkauft und die Altersvilla in Hademarschen erst im April 1881 bezugsfertig war. Nun konnte Storm die »köstliche Aussicht auf Wald- und Wiesengründe« genießen, eine neue Abendgesellschaft für Literatur und Musik gründen, seinen regen Briefverkehr fortsetzen und Besuche empfangen. Er unternahm auch mehrere Reisen, um Verwandte und Freunde zu besuchen. 1882 verlieh ihm der bayerische König den Maximiliansorden für Kunst und Wissenschaft, zu dessen Trägern Eichendorff und Mörike gehörten. Im selben Jahr legte Storm seine Theorie der Novelle dar: Sie sei die »strengste Form der Prosadichtung«, die wie das Drama »die tiefsten Probleme des Menschenlebens« behandle und »einen im Mittelpunkt stehenden Konflikt« verlange. Mit den meisten seiner späten Novellen ist Storm diesen Anforderungen gerecht geworden, so mit »Hans und Heinz Kirch« (1881/82), »Chronik von Grieshuus« (1884) und »Ein Doppelgänger« (1886). Am bekanntesten wurde Storms letzte Novelle »Der Schimmelreiter« (1886–88), für deren Abfassung er umfangreiche Quellenstudien betrieb.
Die Arbeiten waren allerdings durch viel Leid beeinträchtigt: Im Oktober 1886 fesselte ihn eine Rippenfell- und Nierenentzündung fünf Monate ans Bett, im Dezember starb sein ältester Sohn, im Frühjahr 1887 wurde bei ihm Magenkrebs diagnostiziert. Ein Erholungsaufenthalt auf Sylt im August erhöhte seinen Lebensmut. So konnte er im September die Ehrungen zu seinem 70. Geburtstag entgegennehmen und im Februar 1888 seine Meisternovelle abschließen. Storm begann mit einer neuen Novelle, doch wurden die Schmerzen immer stärker und seine Kräfte schwanden. Am 4. Juli 1888 starb er im Kreise seiner Familie; am 7. Juli wurden seine sterblichen Überreste nach Husum überführt und im Beisein einer riesigen Menschenmenge, aber nach Storms Wunsch ohne geistlichen Beistand und ohne Grabrede in der Familiengruft beigesetzt.
WECHSELVOLLER NACHRUHM
Storms Werke fanden zwar schon zu seinen Lebzeiten Anklang, aber erst nach dem Ersten Weltkrieg einen massenhaften Absatz: Von 1918 bis 1936 erschienen 25 Werkausgaben, von 1945 bis 1990 wurden in den deutschsprachigen Ländern über 20 Millionen Bände seiner Werke verkauft. Inzwischen sind seine Werke in alle europäischen Sprachen übersetzt worden. Doch wurden sie lange Zeit überaus einseitig ausgelegt: Schon Erich Schmidt hatte sie 1880 in seinem Artikel über Storm als »deutsch-gemütliche« Hausdichtung gekennzeichnet. Von den Nationalsozialisten wurde Storm als ein Vertreter ihrer Blut-und-Boden-Ideologie ausgegeben. Gegen eine solche verfälschende Deutung konnten Georg Lukács und Thomas Mann mit ihren feinsinnigen Würdigungen wenig ausrichten. Das gängige Storm-Bild blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg das eines bieder-bürgerlichen Heimatdichters. Die Literaturwissenschaft hat erst seit den 1980er-Jahren verstärkt den historischen, politischen und ideologischen Kontext von Storms Werken untersucht und ihre kritischen Aspekte hervorgehoben.
GOTTFRIED KELLER
SCHWEIZER VERTRETER DES LITERARISCHEN REALISMUS
Durch die Aufarbeitung von sozial- und individualpsychologischen Prozessen, von Einflüssen wirtschaftlicher und politischer Gegebenheiten auf ein Einzelschicksal und das Eintreten für eine sozialpädagogisch wirksame Kunst gilt Gottfried Keller als einer der bedeutendsten Vertreter des bürgerlichen Realismus. Einfache Formen und eine schlichte Erzählweise bewirken eine poetische Distanz, der die schmerzhafte Selbsterfahrung eigenen Ausgegrenztseins vorausging.
19. 7. 1819
Geburt in Zürich
1840–1842
künstlerische Ausbildung in München
1848–1850
Aufenthalt in Heidelberg
1850–1855
Aufenthalt in Berlin
1861–1876
Amt des Ersten Staatsschreibers in Zürich
15. 7. 1890
Tod in Zürich
Gottfried Keller wurde am 19. Juli 1819 in Zürich geboren und wuchs zusammen mit seiner drei Jahre jüngeren Schwester Regula bei der Mutter auf. Sein Vater, ein Drechslermeister, starb 1824. Die zweite Ehe seiner Mutter wurde bereits 1834 geschieden. Nach der Armenschule und einem Landknabeninstitut besuchte Gottfried seit 1833 eine
Weitere Kostenlose Bücher