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Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Titel: Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brockhaus
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Industrieschule. Sein Hinauswurf wegen eines Streichs löste in ihm ein beklemmendes Gefühl sozialer und intellektueller Isolation aus, auf das er mit Introvertiertheit und Autodidaktentum reagierte. In dieser Zeit erwachte in ihm der Wunsch, Maler zu werden. Unter großen Opfern finanzierte ihm seine Mutter von 1840 bis 1842 einen Aufenthalt in München, um ihn zum Landschaftsmaler ausbilden zu lassen, doch wurde dort in erster Linie die Historienmalerei gepflegt. Keller lernte also nicht besonders viel und war nicht einmal an der Akademie eingeschrieben. Er wurde Bohemien, verarmte völlig, verlor seine Bleibe und kehrte niedergedrückt zur Mutter zurück. Aus dieser Lebensphase sind etliche überaus talentvolle Zeichnungen und Bilder erhalten, aber Keller fehlten zum Künstlerberuf ein Lehrmeister, das Geld, die Konzentration und der Optimismus.
    Seit 1843 widmete er sich kaum mehr dem Malen, sondern dem Schreiben, wozu er sich durch die Lektüre von Georg Herweghs »Gedichte eines Lebendigen« und Anastasius Grüns »Schutt« inspiriert fühlte. Deren Vormärz-Lyrik löste in ihm eine »klangvolle Störung« und die Hinwendung zum radikalen Liberalismus aus, wie er in seinem Tagebuch verzeichnete: »Ich werfe mich dem Kampfe für völlige Unabhängigkeit und Freiheit des Geistes und der religiösen Ansichten in die Arme.« Keller fand über seine volltönenden politischen Tendenzdichtungen Kontakte zu dem literarischen, liberalen Kreis deutscher Emigranten um August Follen, der für die Veröffentlichung einer beachtlichen Auswahl an Gedichten Kellers – »Lieder eines Autodidakten« (1845), »Gedichte« (1846) – und deren positive Würdigung in der Öffentlichkeit sorgte. Keller fühlte sich jetzt, wenn auch nur vorübergehend, zum Lyriker berufen. Liberale Gesinnungsgenossen vermittelten ihm 1848 ein Reisestipendium der Zürcher Regierung, das es ihm erleichterte, sein heimliches Liebesleid um Henriette Keller, Marie Melos und Luise Rieter zu verdrängen sowie ein eigenes politisches und geistiges Profil zu gewinnen. Er ging nach Heidelberg mit dem Vorsatz, historische Studien zu betreiben und Dramatiker zu werden.
    Das Erlebnis seiner nächsten unglücklichen Liebe, zu Johanna Kapp, bewog ihn, seine Lebensmisere mit einem Roman zu bewältigen. »Der grüne Heinrich« blieb zunächst aber Fragment, weil Keller vergeblich dem Drama zustrebte.
    DIE JAHRE DER DEPRESSION
    Von 1850 bis 1855 ging Keller zum Studium der Geschichte, Literatur und Philosophie in die Theatermetropole Berlin, das er als »Bußort und Korrektionsanstalt« empfand, obwohl er dort höchst produktiv arbeitete und auch einen Verleger fand. Es erschienen nicht nur Gedichte, Keller erarbeitete sich in Berlin den Grundstock seiner Prosa. Er schrieb die erste Fassung des »Apothekers von Chamonix«, des »Grünen Heinrich«, des ersten Bandes der »Leute von Seldwyla« und skizzierte das »Sinngedicht«. Sein geplantes Trauerspiel blieb jedoch – wie jeder weitere Dramenversuch auch – infolge fehlenden Talents unvollendet. Seine Dramentheorie stellte er seinem Freund Hermann Hettner zur Verfügung, der sie 1852 unter seinem eigenen Namen und dem Titel »Das moderne Drama« veröffentlichte.
    Keller litt in Berlin an Einsamkeit, Heimweh, Depressionen und vor allem an dem Missverhältnis seines Selbstbildes zu seiner Selbsterwartung. Er fühlte sich im Salon Fanny Lewalds ebenso unwohl wie bei Varnhagen von Ense und dessen Nichte, obwohl er bei ihnen oft verkehrte. Er schämte sich seiner anhaltenden Finanznöte, verliebte sich 1854/55 heftig und hoffnungslos in Betty Tendering, die Schwägerin des Verlegers Franz Duncker, und sublimierte seine Frustrationen durch Alkohol, Prügeleien und die Arbeit. Den »Grünen Heinrich« habe er »unter den größten Leiden aller Art« geschrieben, das letzte Kapitel »buchstäblich unter Tränen geschmiert«, und doch befreite sich Keller mit seinem autobiografisch gefärbten Roman und fand zu seinen künstlerischen Möglichkeiten.
    GOTTFRIED KELLER UND LUDWIG FEUERBACH
    Da Keller vormittags grundsätzlich nicht studierte, konnte er keine historischen Kollegs besuchen. Dafür absolvierte er Nachmittagsveranstaltungen in allen möglichen Fächern, darunter sogar Physik und Anthropologie. Den größten Einfluss auf ihn gewann der seines Lehramtes enthobene atheistische Philosoph Ludwig Feuerbach:
    »Ich werde Tabula rasa machen … mit allen meinen bisherigen religiösen Vorstellungen, bis ich auf dem

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