Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
von Emmas religiösen und amourösen Fantastereien betrachtet werden. Die Verteidigung konnte die Vorwürfe entkräften, sodass Flaubert am 7. Februar 1857 freigesprochen wurde. Das Erscheinen von »Madame Bovary« war eine Revolution in der Literatur.
1858 begab sich Flaubert auf eine lange Reise nach Tunesien, um Material für den historischen Roman »Salammbô«, den er ursprünglich »Karthago« nennen wollte, zu sammeln. Diese Darstellung des Aufstands eines karthagischen Söldnerheers nach dem Ersten Punischen Krieg basiert auf sorgfältiger historischer, kunstgeschichtlicher und archäologischer Recherche – trotz der heroisch-pathetischen Handlung und exotischen Bilderfülle. Aus der punischen Zeit waren zu diesem Zeitpunkt noch weniger Zeugnisse zu sehen als heute, doch hatte Flaubert auch keine exakte historische Rekonstruktion im Sinn, obgleich er mit Besessenheit studierte. Es ging ihm um eine zeitunabhängige Darstellung, die neben dem Söldnerkrieg der Karthager eine versteckte Auseinandersetzung mit der von ihm verachteten eigenen Epoche und den Grundmustern von Mythos und Religion beinhaltete. »Salammbô« ist eine Auseinandersetzung Flauberts mit der Februarrevolution 1848 in Paris. Flaubert hatte miterlebt, wie die französische Regierung die Nationalwerkstätten auflöste, weswegen Zehntausende enttäuschter, zorniger, weil arbeitsloser Männer plötzlich auf der Straße standen. 1300 wurden nach Algerien, in ein für sie fremdes, unheimliches Land zwangsumgesiedelt. Die Erstauflage von »Salammbô«, bestehend aus 2000 Exemplaren, war im November 1862 innerhalb weniger Tage verkauft; bald verbreiteten sich auch Parodien und Karikaturen.
Weniger erfolgreich, aber noch einflussreicher auf die Entwicklung des europäischen Romans war Flaubert mit dem Roman »Lehrjahre des Gefühls«, »L’éducation sentimentale«, das in seiner endgültigen Fassung 1869 erschien. In der »Versuchung des heiligen Antonius« (1874; »La tentation de Saint Antoine« erschienen) entwarf Flaubert die Figur des Heiligen Antonius als Sinnbild des in Bildern und Visionen lebenden Künstlers, der sich letztendlich in den Vorstellungswelten seiner Eingebung verstrickt – womit auch der Autor zunehmend zu kämpfen hatte.
LEHRJAHRE DES GEFÜHLS – »L’ÉDUCATION SENTIMENTALE«
Das im Deutschen unter den Titeln »Die Erziehung des Herzens« und »Lehrjahre des Gefühls« erschienene »L’éducation sentimentale« (1869) schildert die innere Geschichte einer Generation und die Zerstörung privater Illusionen, verbunden mit dem Verlust politischer Ideale nach dem Scheitern der Revolution von 1848.
Der junge Provinzler Frédéric Moreau geht nach Paris, wo er sich eine große Zukunft erhofft. Die sich ihm bietenden realen Chancen verpasst er jedoch bei seinem Streben nach irrealen, idealen Zielen, da er, ebenso wie Emma Bovary, seine Idealvorstellungen aus der Literatur bezieht.
Flauberts besondere Leistung bei diesem Roman besteht darin, dass er die Geschichte des privaten Scheiterns der von 1843 bis 1845 entstandenen ersten, unpublizierten Fassung 20 Jahre später zu den Ereignissen von 1848 in Beziehung setzte: Der Wunsch Moreaus nach individueller Unabhängigkeit wird letztlich durch die äußeren Umstände verhindert.
DIE LETZTEN LEBENSJAHRE
Der Begriff des Realismus wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts viel diskutiert. Im realistischen Trivialroman der Zeit begegneten die sozialistische Tendenz und die Sentimentalität dem Wirklichkeitsbegriff. Flaubert schlug einen anderen Weg ein. Der noch ganz romantisch getönte Pessimismus seiner Schülerjahre wurde zum rationalen, philosophischen, stark an die Psychologie angelehnten Determinismus. Sein Grundsatz, dass der Künstler in der Wahl seiner Gegenstände unfrei sei, prägte mit den Jahren immer stärker auch den Kompositions- und Sprachstil seiner Romane.
ROMANE UND ERZÄHLUNGEN FLAUBERTS
Madame Bovary (1857)
Salammbô (1862)
Lehrjahre des Gefühls (1869)
Die Versuchung des heiligen Antonius (1874)
Drei Erzählungen (1877)
Bouvard und Pecuchet (Romanfragment 1881, posthum)
Erinnerungen eines Verrückten (1901, posthum)
November (1910, posthum)
Dictionnaire des idées reçues (1913, posthum)
Tagebücher (1919, posthum)
Trotz seines zurückgezogenen Lebens war er nicht einsam. Er reiste häufig nach Paris und besuchte auch andernorts seine Freunde. In bestimmten Abständen organisierte er sogar Feste, die er mit großer Sorgfalt gestaltete. Fast
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