Worte bewegen die Welt
beitragen, die Erinnerung an große Taten sowohl von Griechen als auch von »Barbaren« zu bewahren. Das war revolutionär, da Herodot damit, entgegen der bei den Griechen üblichen Auffassung, auch den feindlichen Persern zugestand, Bedeutendes vollbracht zu haben. In seinem Werk räumte er den Griechen und ihrem Freiheitsdrang zwar den Vorrang vor den von Despoten regierten und damit, wie er meinte, zu Sklaverei und Unterwürfigkeit neigenden Persern ein. Doch war er ebenso bereit, herausragende Leis-tungen der Perser angemessen zu würdigen und griechische Politiker zu kritisieren. Damit entging er der Versuchung, die Dinge allein aus der Perspektive der Griechen zu betrachten, und erfüllte das Postulat der möglichst weit gehenden Objektivität des Historikers. Drittens wollte er zeigen, aus welchen Ursachen Griechen und Perser gegeneinander Krieg führten. Für den modernen Historiker ist dies ein selbstverständlicher Anspruch, nicht aber in der Zeit Herodots, in der sich die Beschäftigung mit der Vergangenheit darauf beschränkte, Fakten und Ereignisse zu referieren, ohne sich um Ursachen und Zusammenhänge zu kümmern.
Ungewöhnlich war die Art und Weise, wie der Historiker Herodot seine Recherchen anstellte. Mit Nachrichten aus zweiter oder dritter Hand wollte er sich nicht abgeben. Seine Devise lautete vielmehr, den Dingen selbst auf den Grund zu gehen. So unternahm er weite Reisen, um an den Orten des Geschehens direkt Informationen zu sammeln. Bezeugt sind Forschungsaufenthalte an allen Plätzen in Griechenland, die während der Perserkriege eine Rolle spielten, aber auch in entfernteren, von den Persern beherrschten Gegenden wie im Schwarzmeergebiet, im Vorderen Orient und in Ägypten. Dort suchte er Menschen auf, die die Ereignisse selbst miterlebt hatten, befragte sie nach ihren Erinnerungen und arbeitete die entsprechenden Auskünfte in sein Werk ein.
Bei seiner historischen Arbeit interessierte sich Herodot nicht allein für die politischen und militärischen Vorgänge. Nach heutigen Maßstäben sehr modern anmutend galt sein Augenmerk auch der Ethnographie, der Geographie, der Religion, der Kultur und dem Alltag jener Völker, die unter der Herrschaft der Perser standen. In Ägypten sammelte er eine Vielzahl von Nachrichten, die für die Ägyptologie bis heute eine wichtige Quelle der Erkenntnis sind. So hielt es der Historiker etwa für wichtig, sich in die Geheimnisse der Mumifizierung der Toten einweihen zu lassen. Das entsprach seinem universalen Verständnis von Geschichte.
BEGRÜNDER DER GESCHICHTSWISSENSCHAFT
Herodot gilt nicht nur im Urteil Ciceros als der Begründer der Geschichtswissenschaft. Sein großes Werk über die Kriege zwischen Griechen und Persern ist bis heute ein Klassiker der Historiographie geblieben, innerhalb deren sein Interesse nicht nur den politischen und militärischen Vorgängen galt. Alltagsleben, Kultur und Religion waren für ihn ebenfalls wichtige Facetten der Geschichte, sodass er dem modernen Leser spannende Einblicke in das Leben der antiken Völker bietet. Manche seiner Nachfolger haben ihn zwar wegen seiner Anschaulichkeit kritisiert. Seine Position als »Vater der Geschichtsschreibung« ist dadurch aber nicht beeinträchtigt worden.
DER ERSTE ETHNOGRAPH
Die Konfrontation mit dem persischen Großreich im 5. Jahrhundert veränderte den Umgang der Griechen mit den fremden Kulturen der »Barbaren«, also der Völker, die nicht Griechisch sprachen: Einerseits erweiterten sich die Kenntnisse über die Vielfalt anderer Völker bis weit in den asiatischen Raum; andererseits brachte sie längerfristig ein Überlegenheitsgefühl der Griechen hervor.
Für den Zugewinn an empirischer Erkenntnis und das Bemühen um das Verstehen von Fremdartigkeit steht das Geschichtswerk. Herodot integrierte geographische und ethnographische Exkurse über die Völkerschaften, mit denen das Perserreich in Berührung kam, in seinen Bericht. In diesem Überblick, der von der ägyptischen Hochkultur bis zu primitiven Stämmen an der Nordund Ostgrenze des Perserreichs reicht, zeigt sich sein starkes Interesse an der Vielfalt gesellschaftlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Die Darstellung konzentriert sich auf die Religion und die Sitten (vor allem des Geschlechtslebens und des Umgangs mit den Toten), ferner auf die Wohn- und Ernährungsweise.
In der modernen Herodot-Forschung wird seit langem die Frage diskutiert, wie der Autor aus Halikarnassos eigentlich zum Historiker wurde, wenn
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