Worte bewegen die Welt
es vor ihm doch keine Historiker gegeben hatte. Viele Gelehrte sind der Auffassung, Herodot habe das historische Metier erst allmählich entdeckt. Ursprünglich habe er nur völkerkundliche und geographische Studien betreiben wollen. Erst durch seinen Aufenthalt in Athen, wo man sich zu Recht rühmte, einen großen Anteil am Sieg über die Perser für sich reklamieren zu können, habe er die historische Dimension des Themas erfasst und in den Vordergrund gestellt. Andere Forscher sind dagegen der Meinung, das Werk sei von Anfang an in der vorliegenden Form konzipiert worden, Herodot sei also eine Art historisches Naturtalent gewesen.
In der Antike wurde jedoch keinesfalls ein einstimmiges Loblied auf Herodot gesungen. Zwar fand er bald viele Nachahmer, doch manchen war sein Stil zu weitschweifig, anderen seine Erzählungen für ein vermeintlich seriöses Metier wie die Geschichte zu bunt und zu lebendig. Ein heftiger Kritiker, der das moderne Urteil über den »Vater der Geschichtsschreibung« lange Zeit geprägt hat, war Herodots jüngerer, ebenfalls sehr einflussreicher Kollege Thukydides (* 460, † um 395 v. Chr.). Dieser soll, wie eine Anekdote erzählt, bei einer Lesung Herodots vor Begeisterung in Tränen ausgebrochen sein. In Wirklichkeit wurde er aber nicht müde, den angeblich seichten Stil und die Effekthascherei zu kritisieren. Dass die moderne Geschichtswissenschaft sich in Methodik und Darstellung eher wieder an Herodot als an dem nüchtern-sachlichen Thukydides orientiert, ist eine späte Rehabilitierung des Protagonisten aller Historiker.
EURIPIDES
DIE VERWELTLICHUNG DES MYTHOS
Staunend las der alte Goethe 1831 die Tragödien des griechischen Dichters Euripides und wunderte sich, dass die Philologen seiner Zeit ihn seinen Vorgängern Aischylos und Sophokles unterordneten: »Hat doch Euripides zu seiner Zeit ungeheure Wirkungen getan
,
woraus hervorgeht, dass er ein eminenter Zeitgenosse war, worauf doch alles ankommt. Und haben denn alle Nationen seit ihm einen Dramatiker gehabt, der nur wert wäre, ihm die Pantoffeln zu reichen?«
485/84 oder um 480 v. Chr.
Geburt in Salamis
455 v. Chr.
erste Teilnahme am Tragödienwettbewerb
408 v. Chr.
Übersiedelung nach Pella
406 v. Chr.
Tod in Pella
Als eigentlicher Schöpfer der Tragödie galt in der Antike der sagenhafte Thespis, der neben dem Chor einen Schauspieler mit Sprechversen auftreten ließ. Aischylos führte den zweiten Schauspieler ein und machte damit den Widerstreit der Schauspieler vor dem Chor möglich, der seinerseits wie ein Schauspieler in der Rolle des vom Geschehen Betroffenen erscheinen, aber auch stellvertretend für die Zuschauer – auch kritische – Deutungen des von den Schauspielern Verhandelten abgeben kann. Sophokles erhöhte durch die Einführung des dritten Schauspielers noch die Vielfalt möglicher spannungsreicher Kombinationen der Darsteller auf der Bühne mit dem Chor in der Orchestra. Sie wurden von Euripides weiterentwickelt. Bei ihm tritt der Chor als Mitspieler mehr und mehr zurück, während Prolog, Streitgespräch und Monolog sowie das Chorlied stärker herausgehoben wurden.
DICHTER IN ZEITEN DES UMBRUCHS
Als Geburtsjahr des Euripides ist das Jahr der Schlacht von Salamis (480 v. Chr.) überliefert, in der Aischylos mitkämpfte und Sophokles als Ephebe seine militärische Ausbildung absolvierte; eine andere Quelle lässt ihn 485/484 v. Chr. geboren sein. Er erlebte zunächst die größte Zeit seiner Heimatstadt: Athen, Vorkämpferin bei der Abwehr der Perser in der Seeschlacht bei Salamis und in der Schlacht bei Plataiai (479 v. Chr.), hatte sich seit 478 politisch mit dem Attischen Seebund als Vormacht in der Ägäis bis zur kleinasiatischen Küste hin etabliert. Die ungefähr 50 Jahre bis zum Beginn des Peloponnesischen Krieges (431 v. Chr.), Athens hohe Zeit, sind geprägt von der Ausdehnung der Macht Athens nach Unteritalien, nach Ägypten und bis ins Schwarze Meer und von grandiosen Bauprojekten in der Stadt. Im Peloponnesischen Krieg, in dem Athen schließlich 404 v. Chr. unterlag, büßte es seine Machtposition ein. Im Verlauf dieses Krieges erlebte Athen einen deutlichen Verfall der herkömmlichen Werte. In diese Periode des politisch-moralischen Umbruchs fällt die Schaffenszeit des Euripides. Im Jahre 455 trat er zum ersten Mal als Tragödiendichter auf; in der »Alkestis«, dem ersten erhaltenen Stück (aufgeführt 438 v. Chr.), gelten noch Werte griechischer Adelsethik. In einem seiner
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