Worte bewegen die Welt
den Tragödien des Euripides steht das Verhalten des Menschen in Problemsituationen im Mittelpunkt. Gewiss bringt in vielen Stücken der »Deus ex Machina« eine überraschende Lösung; doch sind diese Erscheinungen eher Anhängsel. Das Interesse des Zuschauers wird vom Dichter vielmehr auf die Versuche der Menschen gelenkt, als Handelnde mit ihrer Situation fertig zu werden. Das wird am deutlichsten an dem 408 v. Chr. aufgeführten »Orest«. Der von Rachegeistern wegen seiner von ihm erschlagenen Mutter in die Krankheit getriebene Orest hatte mit seiner Schwester Elektra, mit der ihn innige Liebe verband, und seinem treuen Freund Pylades in Argos Hilfe von Menelaos erhofft, war aber erfolglos und wurde gar mit seiner Schwester von der Volksversammlung zum Tode verurteilt. In dieser Notlage nun verfallen die drei auf den Plan, sich mithilfe einer Geiselnahme – sie drohen Menelaos’ Tochter Hermione zu töten – freizupressen. Auf dem Höhepunkt des Geschehens erscheint als »Deus ex Machina« Apollon und bringt die Lage auf unerwartete Art in Ordnung: Orest soll Hermione heiraten, die er eben noch zu töten drohte, und in Argos herrschen, dessen Bürger eben seinen Tod beschlossen hatten.
In den Tragödien des Aischylos und Sophokles treten dem Theaterpublikum Heroen gegenüber; die menschlichen Probleme werden auf diese erhabene Ebene versetzt. Bei Euripides bewegen sich die heroischen Gestalten des Mythos eher auf der realistischen Ebene des Menschlichen. So ist Alkestis eine liebende Ehefrau, die mit Eifersucht an eine Nachfolgerin denkt; Phädra im »Hippolytos« fürchtet bei einem Ehebruch die moralische Kritik der bürgerlichen Öffentlichkeit; Elektra ist die ins soziale Abseits verstoßene Tochter aus hohem Hause. Zum Gewicht, das Euripides dem Alltäglichen gibt, gehört auch die im Vergleich zu Aischylos und Sophokles größere Bedeutung, die bei ihm einfache Leute haben können. So hat der Landmann – ein verarmter Adliger, dem Elektra zur Frau gegeben worden war –, sich des Standesunterschiedes wohl bewusst, sie nicht angerührt. Die Griechen bezeichneten eine solche Haltung als Mäßigung bzw. Besonnenheit. Diese Tugend zeigt auch der Diener am Beginn des »Hippolytos«: Er ermahnt seinen jungen Herrn, den radikalen Artemis-Anhänger, auch der Göttin Aphrodite Ehre zu erweisen, und bittet, als er kein Gehör findet, die Göttin kniefällig um Nachsicht. In Gestalten wie diesem Diener wird die in der Neuen Komödie so bedeutende Sklavenrolle vorweggenommen.
In der Nachwirkung hat Euripides, sicher wegen seiner großen Nähe zu allgemein-menschlichen Problemen, seine beiden großen Dichterkollegen weit übertroffen. Seine Stücke wurden häufig aufgeführt. Griechische Autoren zitierten ihn gern; so konnte eine umfangreiche Sammlung von Euripides-Fragmenten aus vielen nicht erhaltenen Tragödien hergestellt werden. Auch römische Schriftsteller wie Seneca und Vergil ließen sich zu selbstständigen Neugestaltungen euripideischer Tragödien anregen. In der Neuzeit inspirierten Tragödien des Euripides in der französischen und deutschen Klassik Schriftsteller wie Pierre Corneille und Jean Racine, Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe zu neuen Gestaltungen und bis heute ist die Euripides-Rezeption vielfältig fruchtbar.
DIE WICHTIGSTEN WERKE DES EURIPIDES
Alkestis (438 v. Chr.)
Medea (431 v. Chr.)
Die Herakliden (430 v. Chr.)
Hippolytos (428 v. Chr.)
Andromache (um 428 v. Chr.)
Hekabe (um 425 v. Chr.)
Herakles (um 420 v. Chr.)
Die Troerinnen (415 v. Chr.)
Elektra (um 413 v. Chr.)
Helena (412 v. Chr.)
Iphigenie in Tauris (um 412 v. Chr.)
Die Phönikierinnen (um 408 v. Chr.)
Orest (408 v. Chr.)
Iphigenie in Aulis; Die Bakchen (um 406 v. Chr.)
THUKYDIDES
PIONIER DER POLITISCHEN GESCHICHTSSCHREIBUNG
Mit einem einzigen, dazu noch unvollständigen Werk eroberte der Athener Thukydides eine Spitzenposition unter den antiken Historikern. Seine »Geschichte des Peloponnesischen Krieges« setzte völlig neue, zum Teil bis heute gültige wissenschaftliche Maßstäbe. Er forderte einen kritischen Umgang mit den Quellen, suchte nach den bewegenden Kräften der Geschichte und stellte die Frage nach dem Nutzen der Beschäftigung mit der Vergangenheit
.
um 460 v. Chr.
Geburt in Athen
424 v. Chr.
nahm als Flottenkommandant am Peloponnesischen Krieg teil und wurde verbannt
404 v. Chr.
vermutlich Aufhebung der Verbannung und Rückkehr nach Athen
nach 400 v. Chr.
Tod
Thukydides
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