Worte bewegen die Welt
war etwa 35 Jahre alt, als sein Leben eine entscheidende Wende nahm. Während des Peloponnesischen Kriegs kommandierte er im Winter 424/423 v. Chr. als Stratege einen athenischen Flottenverband in der nördlichen Ägäis. Sein Auftrag lautete, die wichtige Hafenstadt Amphipolis in Thrakien gegen den Rivalen aus Sparta zu verteidigen. Doch der spartanische Feldherr Brasidas kam ihm zuvor. Auf dem Landweg war er über das mittlere Griechenland und Thessalien nach Norden marschiert. Ehe Thukydides mit seinen Schiffen von der Insel Thasos aus den Hafen von Amphipolis erreichen konnte, waren die Bewohner der Stadt bereits auf die Seite des Brasidas gewechselt. Mit erfolglosen Militärführern pflegten die Athener nicht sonderlich schonend umzugehen. In Abwesenheit wurde Thukydides seines Amtes enthoben und in die Verbannung geschickt, mit der Maßgabe, seine Heimatstadt nicht mehr zu betreten.
DER PELOPONNESISCHE KRIEG
Auf diese Weise ins politische Abseits gestellt, wandelte sich Thukydides vom aktiven Kriegsteilnehmer zum kritischen historischen Begleiter jenes Geschehens, das damals die gesamte griechische Welt bewegte. Im Jahre 431 v. Chr., sieben Jahre vor dem Scheitern des Thukydides bei Amphipolis, brach der Peloponnesische Krieg aus. So nannte man später die große militärische Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in Griechenland zwischen den Großmächten Athen und Sparta und deren jeweiligen Verbündeten. Insgesamt 27 Jahre lang dauerte dieser von beiden Lagern erbittert geführte Krieg, der im Jahr 404 v. Chr. mit der Kapitulation Athens endete. Die Schauplätze reichten von Kleinasien bis nach Sizilien. Durch seine ausführliche Beschreibung, Kommentierung und Analyse des von ihm selbst miterlebten Peloponnesischen Krieges, wurde Thukydides zu einem der bedeutendsten Historiker, den die Antike hervorgebracht hat. Seine »Geschichte des Peloponnesischen Krieges« gehört bis heute zu den Klassikern der Geschichtsschreibung.
HERKUNFT UND FAMILIE
In einem bemerkenswerten Kontrast zu seinem großen Ansehen als Historiker steht die geringe Menge an Informationen, die über das Leben des Thukydides vorliegen. Angewiesen ist man bei der Rekonstruktion seines Lebens im Wesentlichen auf persönliche Bemerkungen in seinem eigenen Geschichtswerk. Dazu kommen wenig zuverlässige Berichte vor allem aus der Spätantike, die im Gegensatz zu ihrem Thema, dem Historiker Thukydides, wenig Wert auf Seriosität und Glaubwürdigkeit legten. Sein Geburtsdatum wird auf etwa 460 v. Chr. angesetzt. Das schließt man zum einen aus dem Umstand, dass das Mindestalter für die Bekleidung des Amtes des Strategen, das Thukydides 424 v. Chr, ausübte, in Athen in der Regel bei 30 Jahren gelegen hat. Zum anderen behauptet Thukydides in seinem Buch, er habe schon gleich bei Kriegsbeginn 431 v. Chr. mit seinen Aufzeichnungen begonnen, weil er ahnte, dass dieser Krieg zwischen Athen und Sparta bedeutender werden würde als alle früheren Kriege. Glaubt man dem, muss er 431 v. Chr. bereits alt genug gewesen sein, um über die Fähigkeit zur Einsicht in politische und militärische Zusammenhänge zu verfügen.
Gesellschaftlich gehörte die Familie des Thukydides zum Hochadel von Athen. Vom Vater Oloros her bestanden auch verwandtschaftliche Beziehungen zu jenem thrakischen Raum, in dem Thukydides 424 v. Chr. sein persönliches Desaster erlebte. Hier besaß die Familie als wesentliche Quelle ihres Reichtums die Nutzungsrechte für Goldbergwerke. Diese üppigen Einkünfte verschafften Thukydides die finanzielle Freiheit, die ihm später eine unabhängige Tätigkeit als Historiker erlaubte. Verwandt war die Familie auch mit einigen Größen der athenischen Politik, etwa mit Miltiades, dem Helden von Marathon, oder mit Kimon, einem der führenden Vertreter der Aristokratie und Förderer eines spartafreundlichen Kurses. Trotz dieser adligen Herkunft zeigte Thukydides gewisse Sympathien für die demokratische Verfassung, die in Athen seit dem Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. galt und die während seiner Zeit noch weiter ausgebaut wurde. Besonders schätzte er – im Widerspruch zur traditionell konservativen Ausrichtung seiner Familie – die Politik des Perikles, der damals zweifellos die wichtigste und einflussreichste Persönlichkeit auf der politischen Bühne in Athen war. Auch Perikles trieb zwar die demokratische Entwicklung voran, doch allein wegen des Umstandes, dass er 15 Jahre lang ununterbrochen das Strategenamt ausgeübt hatte,
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