Worte bewegen die Welt
der Dichter später eine Berühmtheit war, soll er die Ländereien zurückerhalten haben. Mitten in diesen politischen Wirren und scheinbar unbeeindruckt von ihnen schrieb Vergil das erste seiner drei großen Werke. Drei Jahre lang, zwischen 42 und 39 v. Chr., arbeitete er an den »Bucolica«, den »Hirtengedichten«. Erfunden hat Vergil dieses Genre nicht. Sein Vorbild war der aus Syrakus stammende griechische Dichter Theokrit, der zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. das beschauliche Leben von Hirten in idealisierender Weise beschrieben und damit große Aufmerksamkeit gefunden hatte. Diese Rückbesinnung auf die Natur war damals eine Antwort auf die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungen in der Zeit nach den Eroberungen Alexanders des Großen gewesen. Als Vergil 250 Jahre nach Theokrit sich der Hirtendichtung annahm, war die Welt ebenso aus den Fugen geraten. Und wenn er auch schon durch seine Herkunft einen starken Bezug zum einfachen ländlichen Leben hatte, so dürften es die römischen Bürgerkriege gewesen sein, die ihn eine idyllische Gegenwelt entwerfen ließen.
DIE HIRTENGEDICHTE
Die »Bucolica«, bekannt auch unter dem in alten Handschriften verwendeten Namen »Eclogae« (»Ausgewählte Gedichte«), bestehen aus zehn Einzelstücken zu insgesamt nicht mehr als 829 Versen. Im Gegensatz zu Theokrit ist es Vergil gelungen, ein in sich geschlossenes Ganzes zu schaffen, in dem die Werte des Friedens, der Liebe und des Gesangs vorherrschen. Anspielungen auf das Zeitgeschehen beweisen allerdings, dass der Dichter durchaus nicht auf einer wirklichkeitsfremden Insel der Seligen lebte. In seinem »Arkadien«, so bezeichnet in Anspielung auf die Landschaft auf der Peloponnes, die den Griechen als Heimat sangesfreudiger Hirten galt, spiegeln sich auch die kriegerischen Unruhen der eigenen Zeit wider. Dies ist gleich im ersten Gedicht der Fall, wo ein Hirt, seiner Güter beraubt und aus der Heimat vertrieben, bei einem Nachbarn Unterschlupf findet.
THEOKRITS SCHÄFERDICHTUNG
(* UM 300, † UM 260 V. CHR.)
Der griechische Dichter Theokrit verfasste seine »Eidyllia« (»Idyllen«) überwiegend in einem dorischen (Kunst-)Dialekt, wobei er auf sizilianische Volksgesänge und literarische Vorbilder zurückgriff. Neben Stadtszenen schildern die Idyllen vor allem das Hirtenleben.
Theokrit wurde damit zum Begründer der Schäferdichtung (»Bukolik«), deren Vorbild sich auch Vergil bediente. Theokrits Gedichte verraten Beobachtungsgabe, Einfühlungsvermögen und eine humorvolle und (selbst-)ironische Distanz zum Dargestellten, auch gegenüber Wunschbildern vom einfachen Leben auf dem Lande.
Mit der mythisch-literarischen Tradition weiß Theokrit als gelehrter Dichter des Hellenismus kunstvoll zu spielen. Sein überliefertes Werk umfasst Mimen, Hymnen, kleine epische Gedichte, Liebeslieder und Epigramme. Seine Wirkung reicht über Vergil bis in die Schäferdichtung des Barock und Rokoko. Der Stich illustriert die erste Ekloge aus Vergils »Hirtengedichten« (1680; Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek).
Doch Vergil hatte für die geplagten Zeitgenossen auch eine frohe Botschaft. Sie findet sich in der vierten Ekloge, die zu seinen berühmtesten Gedichten zählt. Hier spricht der Lyriker aus Mantua von dem Anbruch eines goldenen Zeitalters, symbolisiert durch die Geburt eines göttlichen Kindes. Schon immer wurde darüber gerätselt, wen Vergil bei der Abfassung des Gedichtes im Jahre 40 v. Chr. damit gemeint haben könnte. Im Mittelalter hielt man dies für eine prophetische Anspielung auf die Geburt Christi, was erheblich zu der Beliebtheit Vergils auch in nachantiker Zeit beigetragen hat. Doch hat man bei dieser christlichen Deutung wohl etwas zu viel Zutrauen in die seherischen Fähigkeiten Vergils gehabt. Wahrscheinlich dachte er gar nicht an ein spezielles Kind, denn bei den Römern war die Übertragung von politischen Verhältnissen auf die menschliche Ebene ein durchaus übliches Verfahren. Gerade in diesem Jahr 40 v. Chr. hatte Octavian mit seinem Konkurrenten Marcus Antonius in der Hafenstadt Brundisium einen Vertrag geschlossen, der beiden Menschen die Hoffnung nährte, die Bürgerkriege seien nun vorbei und es würden endlich bessere, eben »goldene« Zeiten anbrechen.
MASSSTAB DER DICHTUNG
Vergil galt von der römischen Kaiserzeit bis zum Barock als höchster Maßstab für Dichtung überhaupt. Die Epik des 1. Jahrhunderts n. Chr. entfaltete sich in ständiger
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