Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
bereits begegnet. Daher
ist Ihnen auch bewusst, welche Kraft gegen Ihre Ermittlungen arbeiten wird.«
»So schnell geben wir uns nicht geschlagen.«
»Diese Frau kannte ein Geheimnis und sollte
daran gehindert werden, es weiterzugeben. Was aber, wenn sie das bereits getan hat?
Dann wird das Morden weitergehen. Und je näher Sie und Ihr Team der Lösung kommen,
desto größer wird auch für Sie persönlich die Gefahr. Unterschätzen Sie nie die
Macht dieser Leute!«
27
Gedämpftes Licht fiel auf die schreiend bunt geschminkten
Gesichter der Damen. Rauch und Alkoholdunst lag in der Luft, die Musik dudelte leise
und unaufdringlich im Hintergrund. Um runde, dunkle Holztische zogen sich ebenfalls
runde Sitzbänke in rotem Plüsch, deren Rückenlehnen so hoch waren, dass dort Sitzende
vor Blicken von Neuankömmlingen verborgen blieben und so Peinlichkeiten vermieden
werden konnten. Das ›L’Amour‹ war nicht irgendein Etablissement. Hier legte man
Wert auf Stil.
Ab und zu trat ein früher Besucher ein,
ließ seinen hungrigen Blick über das Angebot schweifen, wählte entschlossen aus
und setzte sich entweder an einen der Tische oder verschwand mit seiner Beute im
Obergeschoss.
Der Barkeeper, der um diese Zeit noch nicht
viel zu tun hatte, lehnte schwer an der Wand, hatte die Arme vor der Brust verschränkt
und hoffte, auf diese Weise tarnen zu können, was er tatsächlich tat.
Er lauschte.
Vor wenigen Minuten war Serafine, eine der
neuen Damen, im Büro verschwunden. Zunächst hatte es einen heftigen Wortwechsel
gegeben – seither herrschte Ruhe hinter der Tür links neben der Bar.
Ungemütliche Ruhe.
Besorgniserregend.
Bengabo wäre schon erleichtert gewesen,
wenigstens ein Flüstern zu hören.
Serafine, die neue Frau aus Haiti, hatte
es ihm angetan. Sie war anders gebaut als alle anderen, die hier arbeiteten. Groß
und auffallend schlank. Ihr Auftreten hatte etwas Aristokratisches. Stolz und unbeugsam.
Sie schminkte sich natürlich – das gehörte schließlich zum Job –, aber sie tat es
auf eine besondere Weise. Weniger grell, weniger aufdringlich.
Unauffällig sah Bengabo sich um.
Niemand nahm Notiz von ihm.
Britta, Linda, Sylvia und Violett saßen
in einer Ecke zusammen, tuschelten und lachten manchmal leise. Außer Serafine hatte
er heute noch gar keines der schwarzen Mädchen gesehen, fiel ihm jetzt auf, aber
vielleicht waren sie zur Spätschicht eingeteilt. Immer nur eine oder zwei. Die anderen
wohnten nicht hier, waren außerhalb der Stadt untergebracht. Der Club wollte seinen
Kunden durch den regelmäßigen Austausch der Damen eine gewisse Abwechslung bieten.
Seit die Haitianerinnen bei ihnen arbeiteten,
hatten sie deutlich weniger Schwierigkeiten als zuvor, als Frau Alvarez noch Mädchen
aus dem Osten eingesetzt hatte. Im Gegensatz zu denen aus der Ukraine oder Weißrussland,
konnte man sich auf die schwarzen Mädchen verlassen. Bengabo verzog die Lippen zu
einem anerkennenden Lächeln. Während andere, die genauso wenig wirklich freiwillig
bei ihnen Kundenwünsche erfüllten, bei der kleinsten Gelegenheit wegliefen und sogar
die deutschen Behörden einschalteten – oder, was vielleicht noch schlimmer war,
Kunden mit ihren Geschichten belästigten –, war das bei den Schwarzen nicht zu befürchten.
Man hätte sie sogar zum Einkaufen schicken können, und sie wären mit dem gezählten
Wechselgeld wieder zurückgekehrt.
Es interessierte ihn schon, wie das funktionierte.
Serafine zum Beispiel war nun schon seit
vier Wochen hier, und alle Kunden äußerten sich nur lobend. Aber ob zufriedene Freier
als Argument ausreichten, damit Madame ihr diese, in seinen Augen bizarre, Bitte
erfüllte?
Bengabos Meinung nach war Skepsis angebracht.
Der Barkeeper seufzte leise und lauschte
weiter auf ein Geräusch.
Er hatte in seinen Jahren hier schon Leute
hinter dieser Tür verschwinden sehen, die nie mehr auftauchten. Gerade bei der sympathischen
Serafine hätte er ein solch spurloses Verschwinden als außerordentlich schmerzlich
empfunden.
Ihre Freundin, die fast wie eine Schwester
war, wurde ermordet. Bengabo tröstete Serafine, als sie die Meldung in der Zeitung
entdeckte. Glücklich erinnerte er sich daran, wie sie sich in seine starken Arme
gekuschelt und an seiner Schulter geweint hatte. Sie erzählte ihm, dass nun das
gesamte Dorf um diese Claudine trauern würde, die doch der Stolz der kleinen Gemeinde
war. Sie hatte es geschafft, studierte in Cottbus und hätte es nach Ansicht
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