Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
des
Dorfes weit bringen können. Ein ganzes Jahr lang war von der Familie eisern für
Reise, Unterkunft und Kaution gespart worden – und nun hatte jemand sie getötet.
Bengabo war in Cottbus geboren.
Er hatte keine solchen Erinnerungen an eine
schwarze Dorfgemeinschaft und bedauerte das nun beinahe. Seit er mit Serafine gesprochen
hatte, war er fest davon überzeugt, es müsse ein wirklich schönes Gefühl sein, so
behütet aufwachsen zu dürfen, selbst wenn die äußeren Bedingungen hart waren.
Bengabo versuchte, Serafine ihren Plan auszureden, aber
sie erwies sich als ziemlich halsstarrig. Sie ahnte ja nicht, wie schwierig und
unberechenbar Madame manchmal sein konnte. Und nun war seine, er dachte dieses Wort
mit besonderer Zärtlichkeit, Serafine im Büro, um von Madame die Erlaubnis zu erbitten,
an der Trauerfeier für diese Claudine teilnehmen zu dürfen. Hoffentlich kam Madame
nicht auf den Gedanken, Serafine versuche eine Chance zu bekommen zu fliehen.
Wenn sie zu diesem Ergebnis kam, konnte
es sein, dass er Serafine nie mehr wiedersehen würde.
Der Barkeeper schluckte hart.
Als sich geräuschlos die Tür öffnete und die schöne Frau
mit den sanften Augen an die Bar trat, gelang es ihm nur mit Mühe, seine Erleichterung
zu verbergen. Und das Beste war, dass Serafine lächelte. Sie schob sich etwas umständlich
auf einen der Barhocker und sah ihm mit hypnotischer Kraft direkt in die Augen.
»Ich darf. Aber ich muss mich im Hintergrund
halten und soll versuchen, nicht aufzufallen«, verkündete sie, und Bengabo hätte
beinahe schallend gelacht. Gerade noch rechtzeitig hielt er seinen Heiterkeitsausbruch
zurück. Serafine hätte das möglicherweise missverstanden. Doch als er sie ansah,
konnte er immer nur das eine denken: Wie sollte eine so schöne Frau sich nur unauffällig
in der Öffentlichkeit bewegen?
Zu Serafine sagte er: »Da hast du aber unverschämtes
Glück gehabt!«
Sie lächelte wieder, und ihre Augen senkten
sich tief in seine.
»Es gibt eine Bedingung, Bengabo«, erklärte
sie ernst.
Er erschrak. Musste sie das ›L’Amour‹ danach
verlassen? Zurück nach Haiti?
»Aha – und die wäre?«, erkundigte er sich
mit gespielter Gleichgültigkeit.
»Du musst mich begleiten!«
»Ich?«
»Ja. Madame meint, wenn ich dich dazu überreden
kann mitzukommen, dann darf ich die Trauerfeier besuchen. Du sollst mich direkt
danach wieder hierher zurückbringen. Bitte Bengabo, bitte, bitte!«
Der Barkeeper überlegte nicht lange.
Wenn das die einzige Bedingung von Madame
war, würde er Serafine diesen Wunsch gerne erfüllen. Man konnte ja nie wissen, wie
sich der Tag nach der Veranstaltung noch entwickelte.
Bengabo sah sich der Erfüllung seiner eigenen
Wünsche erheblich näher kommen.
28
»Was haben wir?«, eröffnete Nachtigall wie immer die abendliche
Abschlussrunde.
»Nicht viel an wirklich neuen Erkenntnissen«,
murrte Albrecht Skorubski.
»Haben wir ein Rohr oder einen Stein mit
Blutanhaftungen am Tatort gefunden? Oder die abgetrennten Körperteile?«
»Nein. Bisher nicht. Aber die Kollege’ suche’
weiter«. Michael Wiener legte den Bericht der Spurensicherung zur Seite.
Leise öffnete sich die Bürotür, und Emile
Couvier schob sich zu ihnen in den Raum. »Komme ich zu spät?«
»In gewisser Weise schon. Du hast heute
einen Vortrag über Zombies und andere Erscheinungen des Voodoo verpasst. Wir haben
einen Mordverdächtigen verhaftet und sofort wieder auf freien Fuß gesetzt, weil
der Zeuge falsche Angaben gemacht hat, wir haben erneut gehört, dass Claudine sich
fürchtete, und Dr. März gibt noch heute Abend eine Pressekonferenz, in der er offiziell
verkünden wird, dass er von einem ausländerfeindlichen Hintergrund des Mordes überzeugt
ist und alle Kräfte in diese Richtung ermitteln«, fasste Nachtigall die Arbeit eines
ganzen Tages knapp zusammen und verbarg mit Mühe seinen Groll diesem Mann gegenüber,
der offensichtlich seine Tochter unglücklich gemacht hatte.
»Der Zeuge war Jakob Stegmann? Ich habe
den Artikel in der Zeitung gelesen.«
»Ja. Aber nichts davon hat gestimmt. Im
Grunde wollte er sich nur wichtig machen. Wir haben ihm eine Streife vor die Tür
gestellt. Schließlich können wir Racheanschläge nicht ausschließen.«
»Ich hab von Norbert Grundmann erfahren,
dass Claudine ein Amulett um den Hals getrage’ hat. Wir habe’ noch immer keines
g’funde’. Vielleicht hat der Täter es an sich g’nomme’. Leider wusste Grundmann
nicht
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