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Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)

Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)

Titel: Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Steinhauer
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vielleicht?«
    »Ich habe keine Freundinnen mehr. Mein Schwiegervater
hat sie alle vergrault. Schicken Sie meinen Mann nach Hause. Bitte! Ich kann jetzt
nicht mit seinem Vater allein in der Wohnung bleiben. Bitte!«
    Ein flehender, tränenverschleierter Blick
streifte ihn kurz, und er nickte.

33
     
    Professor Hagen hatte gerade seine Vorlesung beendet.
    Mit bedächtigen Bewegungen ordnete er seine
Unterlagen zunächst in Stapeln, die er dann energisch in eine geräumige Aktentasche
stopfte. An seinem Katheder stand eine Studentin, die offensichtlich nicht nur mit
der Klärung fachlicher Fragen beschäftigt war. Ihr Oberkörper war weit über den
Schreibtisch gelehnt, was sicher tiefe Einblicke in ihr freizügiges Dekolleté ermöglichte.
Ihr Becken schwang verheißungsvoll von einer Seite zur anderen, und die Hand des
Professors ruhte zufrieden an ihrer Taille. Sein Kopf neigte sich ihrem Ohr zu,
und seine Lippen drückten einen zärtlichen Kuss auf ihre Wange.
    Die beiden hatten sein Eintreten nicht bemerkt,
und Nachtigall kam sich vor wie ein Voyeur.
    Als er nur noch wenige Schritte von ihnen
entfernt war, räusperte er sich. Die Studentin sah auf und entdeckte den Fremden.
Mit hochrotem Gesicht tuschelte sie ein paar Worte in Hagens Richtung und griff
nach ihrem Rucksack. Noch immer überzog verlegene Röte ihr Gesicht. Sie nickte dem
Professor kurz zu, grüßte den Neuankömmling höflich und war verschwunden.
    »Ja? Sie wünschen?« Die Stimme des Professors
war zu laut, er wirkte unnahbar, seine Miene war verschlossen.
    »Kriminalpolizei Cottbus. Herr Professor
Hagen?«
    »Ja – und Sie sind?« Arrogant glitten die
grauen Augen des Professors über Nachtigalls Körper, schienen dabei jedes Detail
zu registrieren. Dem Hauptkommissar fiel unter diesem Blick ein, dass er heute noch
gar keine Gelegenheit gehabt hatte, sich zu rasieren.
    »Hauptkommissar Peter Nachtigall. Ich habe
leider keine gute Nachricht für Sie.«
    »Gut, nur raus damit. Wie Sie sehen, bin
ich stabil gebaut«, dabei strich er über die Weste, deren Knopfleiste sich deutlich
dehnte.
    »Es tut mir leid, aber wir haben heute Morgen
die Leiche Ihres Sohnes gefunden. Er wurde ermordet.«
    Es schien, als halte der Arm einen kurzen
Augenblick in seinem Tun inne, dann fand der nächste Stapel Skripte den Weg in die
Tasche.
    »Ich weiß«, antwortete er dann ohne erkennbare
Regung.
    Nun war es an Nachtigall, verblüfft zu sein.
    »Sehen Sie mich nicht so an! Es ist kein
Verbrechen, eine Vorlesung zu halten, selbst wenn der eigene Sohn getötet wurde«,
herrschte Professor Hagen ihn an.
    Jule.
    Wenn es Jule wäre, da war Nachtigall sich
sicher, sähe seine Reaktion vollkommen anders aus. Bestimmt könnte er nicht ohne
mit der Wimper zu zucken zur Arbeit gehen.
    »Meinert wurde ermordet.«
    »Ja. Auch das hat man mir bereits zugetragen.
Sie haben ihn am unwahrscheinlichsten Ort in der ganzen Stadt gefunden. Meinert
schwimmt nicht.«
    »Das hat man uns schon erzählt. Es muss
also einen anderen Grund dafür gegeben haben, dass er ausgerechnet dorthin gefahren
ist. Denkbar ist, dass er sich mit jemandem treffen wollte.«
    »Es war nicht Meinerts Art, sich nachts
draußen herumzutreiben. Er neigte dazu zu verschlafen, wenn er zu spät ins Bett
kam.«
    Professor Hagen schloss seine prall gefüllte
Tasche und hob sie schwungvoll vom Katheder.
    »Haben Sie sonst noch Fragen?« Der Blick,
mit dem er Nachtigall streifte, war provozierend.
    »Nein. Ihre Frau hat Meinert identifiziert.
Sie wünscht sich, dass Sie zu ihr nach Hause kommen.«
    Hagen lachte kurz und verächtlich.
    »Ja, das kann ich mir vorstellen, dass sie
sich das wünscht. Typisch! Nun, nicht alle Wünsche gehen in Erfüllung. Was wird
sonst aus meinem Seminar? Daran denkt sie natürlich überhaupt nicht.«
    »Wahrscheinlich nicht, das stimmt. Sie denkt
daran, dass ihr einziger Sohn entstellt auf einem Edelstahltisch gelegen hat, kalt,
blass, leblos, ohne Nase, ohne Augen, ohne Zunge und ohne Ohren«, erwiderte Nachtigall
heftig und verließ zornig den Vorlesungssaal.

34
     
    »Was haben wir?«, fragte Nachtigall in einem so aggressiven
Ton, dass sich allen mitteilte, seine Laune habe einen neuen Tiefpunkt erreicht.
    »Beide Freunde, also Grundmann und Damboe,
könne’ sich nicht erkläre’, was ihr Freund bei der ›Lagune‹ g’wollt haben könnt’.
Sie wisse’ nichts über einen Gegenstand, den Claudine Meinert zur Aufbewahrung gegeben
hätte. Nichts. Zur Tatzeit habe’ sie in ihre’

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