Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
Hagens Wohnung nicht g’funde’, wonach
er g’sucht hat«, ergänzte Michael Wiener nachdenklich, »wird er es bei einer anderen
Person versuchen. Nur – wenn er ohnehin alle tötet, gibt es doch für den Zeugen
keinen Grund, die Informationen für sich zu behalten. Er könnte sich bei uns melde’.«
»Wenn derjenige, der gewarnt werden soll,
allerdings glaubt, die anderen mussten sterben, weil sie etwas verraten haben, dann
nicht. Noch wissen wir nicht, warum er die Opfer tatsächlich verstümmelte. Wir können
nur Mutmaßungen anstellen.«
»Alle aus dem engeren Umfeld Claudines könnten
in den Fokus des Täters geraten«, bekräftigte Couvier. »Er hat nur mit dem Menschen
begonnen, der am wahrscheinlichsten alles über und von Claudine wusste.«
»Aber da kommen doch unter Umständen zig
Leute in Betracht.«
»Nein Albrecht, das glaube ich nicht. So
viele werden es nicht sein. Die Freunde, die Tante.«
»Es wäre hilfreich, wenn wir wenigstens
wüssten, wonach er sucht.«
Nachtigall drehte sich wieder zur Pinnwand
um.
Nach langem Schweigen hörten sie ihn murmeln:
»Es ist wie bei diesen drei Affen. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Der
Täter glaubt, Claudine habe ein Geheimnis entdeckt und weitererzählt.«
»Aber was sucht er dann in den Wohnungen?«
»Aufzeichnungen. Wir gehen doch davon aus,
dass sie etwas entdeckte, was nicht für Außenstehende gedacht war. Der Täter ist
möglicherweise fest davon überzeugt, sie habe diese Informationen irgendwo aufgeschrieben,
zum Beispiel für den Fall, dass ihr etwas passiert«, erklärte Nachtigall. »Oder
ein Foto. Vielleicht hat sie irgendetwas Illegales aufgenommen. Einen Drogendeal.«
Doch die Kollegen waren nicht überzeugt.
»Dann geht er aber sehr ung’schickt vor«,
warf Michael Wiener ein. »Er schlägt zu und tötet. Danach durchsucht er die Wohnung.
Sein Opfer ist zu diesem Zeitpunkt schon tot – er kann von ihm nichts mehr erfahren.
Warum sollt’ er so dumm sein? Ich würd’ zuerst frage’.«
»Ja, eben. Mit ein bisschen Folter hätte
er womöglich mehr erreicht.«
»Ganz so stimmt es ja auch nicht. Im Obduktionsbericht
steht, die Amputationen im Fall Caro seien etwa eine halbe Stunde nach Eintritt
des Todes vorgenommen worden. Der Täter hat vielleicht die Zeit genutzt und ihre
Bekleidung und die Handtasche nach dem Gegenstand durchsucht. Als er das Gesuchte
dann nicht fand …« Nachtigall deutete eine Explosion an.
»Aber so macht die Theorie, die Verstümmelungen
seien als Warnung gedacht, keinen Sinn. Er verstümmelte Meinert Hagen erst und fuhr
dann in seine Wohnung«, meinte Skorubski ratlos.
»Vielleicht ist es doch kein Profi. Er mordet,
weil er irgendwie in dieses Geheimnis verstrickt ist, kann aber Leid nicht ertragen.
Dafür spricht auch, dass er die Opfer mit einem Hieb tötet«, meinte Couvier und
knetete sein Kinn. »Oder er hat Angst, dem Opfer physisch nicht gewachsen zu sein
– panische Menschen können ungeahnte Kräfte entwickeln. Um quälen zu können, müsste
er seine Opfer außerdem verschleppen, irgendwo verbergen, sie ernähren. Die Angelegenheit
würde sich immens verkomplizieren. Vielleicht wohnt er zur Untermiete oder bei seinen
Eltern.«
»Er will mit den Amputationen eine Nachricht
übermitteln, sie sind demnach sorgfältig geplant, auch das Loch in der Stirn des
ersten Opfers – warum fehlt es beim zweiten? Könnten wir diesen Punkt klären, würde
sicher auch anderes deutlicher«, murmelte Nachtigall und wandte sich unvermittelt
an den jungen Kollegen. »Warst du eigentlich schon bei diesem Fast-Food-Restaurant?«
Michael Wiener nickte. »Ja. Doch die Kollegin,
mit der sich das Opfer gut verstand, war in der Pause. Und danach war keine Zeit
mehr.«
»Gleich morgen früh, Michael. Frag auch
nach eigenartigen Kunden. Vielleicht ist jemand aufgefallen.«
»Schluss für heute? Ich habe meiner Freundin
Marnie versprochen, mit ihr noch in die Stadt zu fahren.«
»Nein, noch nicht. Wir rufen alle Freunde
an, von denen wir wissen. Wenn sich jemand sehr bedroht fühlt, schicken wir eine
Streife regelmäßig vorbei.«
»Der Täter kann doch eigentlich nur über
Claudines Umfeld Bescheid wissen, wenn er dazugehört, oder?«, fragte Skorubski.
»Also ich meine, man läuft ja nicht durch die Stadt und erzählt jedem, den man trifft,
mit wem man befreundet ist, wie eng oder oberflächlich und wo derjenige wohnt.«
In die entstandene Stille fielen die Worte
Wieners wie ein Knall.
»Das würde
Weitere Kostenlose Bücher