Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
aggressiv: »Kaffee? Cappuccino? Espresso?«
Skorubski dachte an seinen empfindlichen
Magen und lehnte höflich ab.
»Na, dann eben nicht!« Bengabo zuckte mit
den Schultern.
»Wenn Sie das Opfer gar nicht kannten, warum
waren Sie dann auf der Trauerfeier?«
»Erstens: Ich gehe zu der Feier, die ich
besuchen möchte! Steht etwa irgendwo geschrieben, dass man das Opfer kennen muss?
Besonders in einem Fall von Ausländerfeindlichkeit brauche ich wohl keine Erlaubnis
der Polizei, um mein ›Gesicht zu zeigen‹, oder? Und zweitens: In diesem Fall war
ich die männliche Begleitung.«
»Aha. Für die junge Dame, die so weinte.«
»Ja.«
»Wo ist sie eigentlich?«
»Hat sich hingelegt.« Der Barkeeper wechselte
offensichtlich die Strategie.
Von aggressiv zu einsilbig.
»Hat sie auch einen Namen?«
»Serafine.«
»Was für ein schöner Name.« Skorubski setzte
sich auf einen der mit schwarzem Leder bezogenen Barhocker. »Aber sie hat doch sicher
einen Nachnamen?«
»Den kenne ich nicht.«
»Und Serafine kannte Claudine?«
»Ja. Flüchtig.«
»Serafine arbeitet hier?«
»Nein!«, schneidend durchtrennte das Wort
die Luft wie eine Klinge.
Bengabo schien sich hinter den Tresen zu
ducken.
Skorubski wandte sich um und entdeckte eine
große Frau mit ausgeprägten weiblichen Formen. Er konnte nicht sagen, wie lange
sie dort schon gestanden hatte, vermutete aber, dass sie ihnen schon eine ganze
Weile unbemerkt zugehört hatte.
»Serafine ist die Tochter meiner Freundin.
Sie verbringt ein paar Wochen bei mir – als Gast«, erläuterte die beeindruckende
Gestalt in freundlicherem Ton.
Bengabo machte sich Sorgen.
War es nicht ein Teil der Abmachung gewesen,
dass Serafine nicht auffallen durfte? Was mochte nun geschehen? Der Schweiß brach
ihm aus, rann an seinem Rücken entlang. Sie würde doch nicht …? Nein, befahl er
sich, das wollte er gar nicht erst denken! Vielleicht konnte noch alles gut werden,
wenn sie verstand, wie es passiert war.
»Mein Name ist Albrecht Skorubski.«
»Er ist von der Kripo«, steuerte Bengabo
in vorwurfsvollem Ton bei, als befürchte er, Skorubski könne diese wichtige Information
unterschlagen.
»Ramona Alvarez.« Sie reichte Skorubski
die Hand. Ihr Druck war angenehm fest, aber nicht provozierend. »Mir gehört dieses
Etablissement. Wie kann ich der Kriminalpolizei behilflich sein?«, fragte sie dann
und neigte kokett den Kopf leicht zur Seite.
»Ich war gerade bei der Trauerfeier für
Claudine Caro. Dort wurde ich auf Serafine und ihren Begleiter aufmerksam. Ich würde
mich gerne mit der jungen Dame unterhalten.«
»Ach, das tut mir wirklich leid. Ich fürchte,
das kann ich nicht erlauben. Die Kleine ist nach dem Mord ganz verstört, und diese
Feier hat sie sehr mitgenommen. Sie liegt auf ihrem Bett und weint.«
»Sie kannte das Opfer?«
»Oh ja. Sie stammen aus demselben Dorf.
Kannten sich schon, seit Serafine denken kann. Der grausame Mord hat die arme Kleine
schwer getroffen. So verstört habe ich sie noch nie zuvor erlebt«, gab Frau Alvarez
bekümmert Auskunft.
»Wir versuchen, uns ein Bild des Opfers
und seines Tagesablaufs zu machen. Bestimmt wäre eine Unterstützung durch Serafine
hilfreich«, brachte Skorubski, wie er hoffte diplomatisch, sein Anliegen ein weiteres
Mal vor.
Doch wieder blockierte Frau Alvarez seine
Bemühungen.
»Ich verstehe Sie vollkommen«, säuselte
sie beinahe. »Aber das Mädchen wurde meiner Obhut anvertraut, und ich bin nicht
willens, ihr diese Belastung zuzumuten«, lächelte sie plötzlich gefährlich.
Skorubski erkannte die Sinnlosigkeit weiterer
Versuche in Freundlichkeit.
»Gut, wenn das so ist, sehe ich die junge
Dame und ihren Begleiter morgen früh um 8:30 Uhr bei mir im Büro.«
Dafür hatte Ramona Alvarez nur ein eisiges,
frostig klirrendes Lachen übrig, das Bengabo eine Gänsehaut bescherte.
»Wohl kaum, Herr Skorubski. Mein Barkeeper
hat heute Dienst. Hier ist Betrieb, bis der letzte Gast gegangen ist. Ich werde
nicht erlauben, dass er übermüdet bei Ihnen im Büro sitzen muss.«
»Dann kommt Serafine eben allein«, verlangte
Skorubski trotzig.
»Und wer übersetzt, falls ihr die Vokabeln
fehlen? Außerdem – nach dem Mord an Claudine ist die Lage für uns nicht einfacher
geworden. Können Sie mir garantieren, dass sie unbeschadet zu Ihnen und wieder zurück
kommt – nach dem, was geschehen ist?«
Skorubski seufzte.
42
Peter Nachtigall tigerte im Büro auf und ab.
Zwei Tote, erschlagen und verstümmelt
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