Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
Kinderschänder …« Sie senkte den Blick, als schäme sie sich etwas.
»Sie wissen schon. Aber eigentlich sollte niemand auf diese Weise sterben müssen.«
»Ist Ihnen je aufgefallen, dass Ihre Freundin
sich fürchtete?«, fragte Nachtigall weiter, ohne das angeschnittene Thema zu vertiefen.
Heide Fischer überlegte sich diesmal ihre Antwort gründlich.
»Wenn die Medien von Überfällen auf Ausländer
berichteten, war es manchmal für sie eine Frage der Überwindung, ihr Zimmer auf
dem Campus überhaupt zu verlassen. Aber Claudine war mutig. Es entsprach nicht ihrem
Naturell, sich zu verkriechen. Sie sagte immer, man dürfe sich von der eigenen Angst
nicht terrorisieren lassen.«
»In ihrem Zimmer haben wir Schutzzauber
entdeckt. Ich bin der Meinung, dass Ihre Freundin sich sogar sehr fürchtete. Vielleicht
hat sie es nur nicht gezeigt«, widersprach Nachtigall.
»Ach – das!«, Heide lachte tapfer. »Das
war Voodoo-Aberglaube. Sie hat nicht wirklich etwas darauf gegeben«, schwindelte
sie dann.
»Aha. Trug sie nicht auch ein Amulett?«
»Ja. Sie meinte, es sei nicht verkehrt,
sich nach allen Seiten abzusichern. Man sei vor Überraschungen schließlich nie sicher.«
»Wenn Sie jemanden verdächtigen würden …«
»Dann läge ich damit bestimmt völlig falsch«,
unterbrach Heide Fischer den Hauptkommissar. »Vielleicht hat sie ein besoffener
Schläger umgebracht, wegen ihrer Hautfarbe zum Beispiel. Bei unserem letzten Gespräch
schnitt sie das Thema noch an. Sie sagte, ihre Hautfarbe gefalle nicht jedem so
gut wie mir, sie sei schon oft genug Grund für allerlei Schwierigkeiten gewesen.«
Nun flossen die Tränen wieder.
»Wir haben natürlich auch in diese Richtung
ermittelt – aber nachdem nun auch Meinert Hagen umgebracht wurde …«
»Was! Meinert ist auch tot?«, keuchte Heide
Fischer mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen.
»Ja. Es tut mir leid. Sie haben es wohl
nicht in den Nachrichten gehört. Kannten Sie ihn denn?«
»Meinert? Meinert ist tot!«, flüsterte sie
schockiert, antwortete dann aber doch: »Nein, ich kannte ihn nicht richtig. Die
beiden sind mir wenige Male über den Weg gelaufen, und natürlich hat Claudine manchmal
etwas von ihm erzählt. Sie war sehr verliebt.«
»Sie mochten Meinert Hagen nicht?«, hakte
Nachtigall nach, dem die leise Verachtung im Ton der jungen Frau nicht entgangen
war.
»So kann man das nicht sagen. Er war eben
nicht mein Typ – und schon gar nicht die Art Mann, die ich mir für Claudine gewünscht
hätte, zu langweilig, zu sehr Streber, immer korrekt.« Sie zog ein ein frisches
Taschentuch aus der Manteltasche und putzte sich die Nase. »Woher wissen Sie denn,
dass es sich um denselben Täter handelt? Oder dürfen Sie mir das nicht erzählen?«
»Bei beiden Morden wurde offensichtlich
die gleiche oder zumindest eine ähnliche Waffe verwendet – und beide Opfer wurden
auf ähnliche Art verstümmelt. Deshalb glauben wir auch, dass es zwischen den beiden
Taten einen Zusammenhang geben muss.«
Heide Fischer wurde blass.
»Kann ich Sie nach Hause bringen?«, fragte
Nachtigall besorgt.
»Nein, danke. Es geht schon wieder. Ich
muss zur Arbeit.« Sie drehte sich um und machte Anstalten, den Hauptkommissar stehen
zu lassen.
»Halt! Halt! Ich bin noch nicht fertig.«
Heide Fischer blieb wie angewurzelt stehen,
wandte sich aber nicht zu ihm um.
»Frau Fischer – wir befürchten, dass alle
Freunde Claudines in Gefahr sein könnten. Meinert Hagens Wohnung wurde durchsucht.
Wir wissen nicht wonach, aber offensichtlich hoffte der Mörder, etwas Bestimmtes
zu finden. Um Geld handelte es sich jedenfalls nicht. Auch das Motiv ist unklar.«
»Wenn Sie keine weiteren Fragen mehr haben.
Ich muss los!«, drängte die blonde Frau und sah sich beunruhigt um.
»Frau Fischer, hat Ihre Freundin Claudine
Ihnen irgendetwas zur Aufbewahrung hinterlassen? Oder Ihnen anvertraut, wo sie etwas
versteckt hat, das für sie von Bedeutung war?«
Heide Fischer drehte sich um und sah Nachtigall
direkt an.
»Nein. Warum sollte sie?«
»Sie hatte nichts in ihrem Besitz, von dem
sie glaubte, es sei gefährlich? Manchmal erzählt man sich doch solche Geheimnisse
– von Freundin zu Freundin?«
»Vielleicht schätzen Sie die Tiefe unserer
Beziehung einfach falsch ein«, schnappte sie zurück.
Peter Nachtigall wusste, dass sie log.
Hoffentlich verschweigt sie mir nicht etwas,
das sie in Gefahr bringt, überlegte er unglücklich und war sich darüber im Klaren,
dass sie ihm
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