Wovon eine Prinzessin träumt (German Edition)
hatte die Erfahrung machen müssen, dass Adelige eine eigene Sicht der Dinge hatten.
Er hätte seinen Instinkten trauen und Ian gar nicht erst in sein Haus lassen sollen. Vielleicht würde sein Bruder dieses Mal aber auch endlich seine Lektion lernen.
Nachdem der Fahrer ihn am Haupteingang der Klinik abgesetzt hatte, fragte Garrett am Informationsschalter nach der Zimmernummer seines Bruders.
Der Raum befand sich im dritten Stock gleich hinter dem Stationszimmer. Als Garrett eintrat, war er nicht im Geringsten auf den Anblick vorbereitet, der sich ihm bot. Er hatte erwartet, dass sein Bruder ein paar Schrammen und Kratzer abbekommen hatte, vielleicht auch die ein oder andere Platzwunde – doch sein kleiner Bruder sah eher so aus, als hätte er einen Zwölfrundenkampf mit einem Profiboxer hinter sich.
Sein Gesicht war angeschwollen und voller Prellungen, die Nase gebrochen und beide Augen blutunterlaufen. Das rechte Handgelenk war bandagiert, und beide Arme waren von kleinen Verletzungen übersät – die Folgen der zerbrochenen Glasflaschen, wie Garrett vermutete. Das linke Bein war bis zum Oberschenkel eingegipst und hing in einer Schlinge.
Garrett schüttelte den Kopf. Ian, was hast du dir bloß angetan?
Statt des Ian, der immer nur Ärger bereitete, sah Garrett unter den ganzen Verbänden lediglich den kleinen Jungen, der früher immer zu ihm gekommen war, wenn er sich einen Splitter eingetreten hatte. Sein Ärger war plötzlich verraucht.
„Garrett Sutherland?“, fragte jemand hinter ihm.
Er drehte sich um und sah einen Arzt, der vor dem Zimmer stand. „Ja.“
„Dr. Sacsner“, erwiderte der Mann und schüttelte Garrett die Hand. „Ich bin der behandelnde Chirurg Ihres Bruders.“
„Chirurg?“
„Orthopädische Chrirurgie.“ Er deutete auf den Flur vor der Tür. „Können wir uns kurz unterhalten?“
Garrett nickte und folgte ihm hinaus auf den Gang.
„Ihr Bruder hat außerordentliches Glück gehabt“, erzählte der Arzt, sobald die Tür geschlossen war.
„Ich finde, so sieht er gar nicht aus.“
„Ich weiß, dass es schlimm aussieht, aber es hätte noch schlimmer kommen können. Dass er keinerlei innere Verletzungen davongetragen hat, grenzt schon fast an ein Wunder.“
„Und was ist mit seinem Bein?“
Der Arzt machte eine ernste Miene. „Da hatte er nicht so viel Glück. Beim Aufprall ist sein Unterschenkel zerschmettert worden. Der Knochen wird zurzeit nur von Schrauben zusammengehalten.“
„Er wird doch wieder gesund?“
„Mit genug Zeit und einer Therapie wird er wieder ganz der Alte. Die ersten sechs Wochen sind immer am schwierigsten. Es ist ungeheuer wichtig, dass er das Bein so wenig wie möglich bewegt und hochlegt.“
„Dann bleibt er also hier?“
„Für ein oder zwei Tage, dann entlassen wir ihn.“
Entlassen? Und wohin sollte er gehen?
Als er den Arzt ansah, war Garrett klar, dass von ihm erwartet wurde, seinen Bruder bei sich aufzunehmen. Grundgütiger. Dafür hatte er jetzt überhaupt keine Zeit. Außerdem schuldete er seinem Bruder nach dem ganzen Ärger, den er ihm gemacht hatte, gar nichts. Doch wen hatte Ian sonst noch?
„Ich weiß, das klingt nach einer beängstigenden Aufgabe“, meinte der Arzt. „Aber wenn Geld keine Rolle spielt, können Sie eine Vollzeit-Pflegekraft einstellen.“ In diesem Moment piepste sein Pager, und er sah aufs Display. „Ich schaue später noch mal nach ihm.“
„Bevor Sie gehen: Ist inzwischen klar, ob Alkohol mit im Spiel war?“
„Zuerst haben wir das vermutet, weil er wie eine Schnapsbrennerei gerochen hat. Deswegen haben wir gezögert, bevor wir ihm ein Schmerzmittel verabreicht haben. Aber er hat geschworen, nichts getrunken zu haben, und die Blutuntersuchung hat das bestätigt. Keine Spuren von Drogen oder Alkohol.“
Also war Ian einfach zu schnell gefahren und hatte die Kontrolle verloren. Schon als Kind war er immer an seine Grenzen gegangen und dabei auf die Nase gefallen. Mit acht Jahren hatte Ian sich bereits mehr Knochen gebrochen und mehr Narben gehabt als manche Leute im ganzen Leben. Langsam zog Garrett die Tür auf.
„Du hättest nicht herkommen müssen“, sagte sein Bruder mit heiserer Stimme.
Garrett ging an sein Bett. „Irgendjemand muss wohl die Rechnung zahlen.“
Ian musterte ihn verschlafen und benommen. „Ich vermute, ein einfaches ‚Entschuldigung‘ reicht dieses Mal nicht.“
„Das würde es schon, wenn ich wüsste, dass du es ernst meinst.“ Aber Ian tat nie etwas leid
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