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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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aus Kalifornien eingeflogen, um mich zu fotografieren. Er verbrachte einen ganzen Tag damit. Er hatte einen Kleinlaster voll Ausrüstung im Flugzeug mit nach Kauai gebracht. Die Fotos sollten zusammen mit einem Interview erscheinen, das die Zeitschrift kurz vorher mit mir gemacht hatte. Offenbar gibt es nicht allzu viele Autoren (ein paar vielleicht, aber nicht viele), die Marathon laufen, und sie interessierten sich für mein Leben als »Marathon-Schriftsteller«. Da Runners’ World bei amerikanischen Läufern ziemlich beliebt ist, würde man mich in New York vielleicht auf den Artikel ansprechen. Dieser Gedanke machte mich noch nervöser. Auf keinen Fall durfte ich mich bei diesem Marathon blamieren.
    Zurück ins Jahr 1983, jene legendäre Epoche, in der Duran Duran und Hall and Oates die Hitlisten stürmten.
    Im Juli jenes Jahres reiste ich nach Griechenland und lief ganz allein den Weg von Athen nach Marathon. Die olympische Strecke führt von Marathon nach Athen. Der Grund, aus dem ich in umgekehrter Richtung lief, war folgender: Ich wollte frühmorgens in Athen aufbrechen und die Stadt vor dem Berufsverkehr (und ehe die Luft zu schlecht wurde) hinter mir lassen. Weniger Verkehr würde mir das Laufen erleichtern. Da es kein offizieller Lauf und ich der einzige Läufer war, konnte ich nicht erwarten, dass man wegen mir den Verkehr umleitete.
    Warum war ich eigens nach Griechenland gereist, um dort allein 42 Kilometer zu laufen? Ein Männermagazin hatte mich mit einem Reisetagebuch beauftragt, das ich im Laufe einer Tour für Journalisten verfassen sollte, zu der das staatliche griechische Fremdenverkehrsamt einlud. Mehrere Zeitschriften waren Sponsoren der Tour, zu der die typischen Angebote gehörten: Ruinen, eine Kreuzfahrt durch die Ägäis usw. Ich hatte ein offenes Rückflugticket und durfte nach Abschluss der Tour noch so lange in Griechenland bleiben, wie ich wollte, und tun und lassen, was ich wollte. Die Besichtigungen interessierten mich weniger, aber mir gefiel die Vorstellung, danach mir selbst überlassen zu sein. Ich konnte es kaum erwarten, die Heimat des ursprünglichen Marathonlaufs mit eigenen Augen zu erkunden. Ich fand, ich sollte sogar einen Teil davon selbst laufen. Für jemanden wie mich, der gerade mit dem Laufen angefangen hatte, wäre das zweifellos ein aufregendes Erlebnis.
    Moment mal – warum eigentlich nur einen Teil? Warum nicht die ganze Strecke?
    Der Redakteur der Zeitschrift fand meinen Vorschlag interessant. So kam es, dass ich den ersten Marathon meines Lebens (oder so etwas Ähnliches) lief, ganz leise und allein. Keine Zuschauer, kein Zielband, keine anfeuernden Rufe vom Straßenrand, nichts von alledem. Aber das war mir egal, denn ich lief den echten Marathon. Was wollte ich mehr?
    Wenn man von Athen auf der Straße schnurstracks nach Marathon läuft, beträgt die Strecke nicht die vorgeschriebenen 42,195 Kilometer. Sie ist etwa zwei Kilometer kürzer. Das fand ich jedoch erst Jahre später heraus, als ich an einem offiziellen (der ursprünglichen Strecke Marathon–Athen folgenden) Marathon teilnahm. Diejenigen, die den olympischen Marathon im Fernsehen verfolgen, wissen sicher Bescheid. Nachdem die Läufer Marathon verlassen haben, biegen sie an einer bestimmten Stelle nach links auf eine Nebenstraße ab, laufen um ein paar kärgliche Ruinen herum und kehren dann wieder auf die Hauptstraße zurück. Auf diese Weise kommt die zusätzliche Entfernung zustande. Aber damals war mir das nicht bekannt, und ich glaubte, der direkte Weg von Athen nach Marathon umfasse die ganzen 42 Kilometer. Dabei sind es in Wirklichkeit nur 40. Doch da ich in Athen selbst ein paar Umwege machte und der Kilometerzähler des Wagens, der mich begleitete, mehr oder weniger 42 anzeigte, lief ich wahrscheinlich doch so gut wie einen ganzen Marathon. Nicht dass es darauf jetzt noch ankommt.
    Damals war Hochsommer. Wer schon einmal in Athen war, weiß, dass es dort einmalig heiß wird; die Hitze übersteigt alle Vorstellungen. Die Einheimischen vermeiden es, am Nachmittag ins Freie zu gehen, wenn es nicht nötig ist. Sie tun nichts und halten Mittagsruhe im kühlen Schatten, um Energie zu sparen. Erst wenn die Sonne untergegangen ist, geht man aus, und die Stadt erwacht. Die Einzigen, die in Griechenland am Nachmittag umherlaufen, sind Touristen. Selbst die Hunde liegen im Schatten und rühren sich nicht. Man muss sie lange beobachten, um herauszufinden, ob sie tot sind oder nicht. So heiß ist es. In

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