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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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dieser Hitze 42 Kilometer zu laufen grenzt an Wahnsinn.
    Wenn ich von meiner Absicht erzählte, allein von Athen nach Marathon zu laufen, sagten alle Griechen das Gleiche: »Schlagen Sie sich das aus dem Kopf. So etwas würde nur ein Verrückter tun.« Da ich vor meiner Ankunft keine Vorstellung von der Athener Hitze hatte, war ich recht unbekümmert. 42 Kilometer, das geht doch. Ich dachte nur an die Distanz, die Temperatur kam mir gar nicht in den Sinn. Als ich dann wirklich in der sengenden Hitze Athens stand, wurde es mir doch etwas mulmig. Vielleicht war mein Vorhaben wirklich verrückt. Doch nun hatte ich mich groß in Szene gesetzt und zugesagt, den ursprünglichen Marathon mit eigenen Füßen zu laufen und einen Artikel darüber zu schreiben. Dafür war ich den ganzen weiten Weg nach Griechenland geflogen. Ein Rückzieher kam nicht mehr in Frage. Nach langem Hin- und Herüberlegen kam ich zu dem Schluss, dass ich morgens noch im Dunkeln in Athen loslaufen sollte und so mein Ziel erreichen würde, ehe die Sonne hoch am Himmel stand, um allzu starke Erschöpfung durch die Hitze zu vermeiden. Je später es wurde, desto höher kletterten natürlich die Temperaturen. Es war, wie in der Erzählung Lauf, Melos, lauf von Osamu Dazai, ein Wettrennen gegen die Sonne.
    Der Redakteur und der Fotograf Masao Kageyama, der mich unterwegs ablichten sollte, begleiteten mich in einem Wagen. Da es sich um keinen offiziellen Lauf handelte, gab es keine Wasserstationen am Weg, und ich machte hin und wieder Halt, um mir Wasser aus dem Wagen geben zu lassen. Die griechische Sommersonne ist gnadenlos. Ich musste darauf achten, nicht auszutrocknen.
    »Murakami-san, wollen Sie wirklich die ganze Strecke laufen?«, fragte Masao Kageyama erschrocken, als er sah, wie ich mich bereit machte.
    »Natürlich. Deshalb bin ich doch hergekommen.«
    »Sind Sie sicher? Niemand macht bei solchen Sachen das Ganze. Wir machen ein paar Aufnahmen und sparen uns den Rest. Sie wollen also tatsächlich die ganze Strecke laufen?«
    Manchmal verstehe ich die Welt nicht. Dass Leute so etwas wirklich tun!
    Jedenfalls brach ich um 5.30 Uhr am Olympia-Stadion in Athen auf und machte mich auf den Weg nach Marathon. Nur die eine Hauptstraße führt dorthin. Wenn man sie einmal gelaufen ist, weiß man Bescheid. Die griechischen Straßen sind anders als die in Japan. Statt Kies mischen sie dort gemahlenen Marmor in den Belag, wodurch die Straße in der Sonne glitzert und man leicht ausrutschen kann. Besonders im Regen muss man beim Autofahren sehr aufpassen. Aber auch wenn es nicht regnet, quietschen die Schuhsohlen, und man spürt die Glätte unter den Füßen.
    Der folgende Abschnitt ist eine Bearbeitung des Artikels, den ich damals für die Zeitschrift schrieb.
    ***
    Die Sonne steigt immer höher. Die Straßen in Athen sind sehr schwer zu laufen. Vom Stadion bis zur Hauptstraße nach Marathon sind es etwa fünf Kilometer, und die vielen Ampeln bringen mich immer wieder aus dem Rhythmus. Häufig blockieren auch Baustellen und parkende Autos die Straße, und ich muss in der Mitte laufen. Was wegen des Verkehrs, der frühmorgens durch die Straßen braust, nicht ganz ungefährlich ist.
    Als ich zur Straße nach Marathon komme, zeigt sich die Sonne, und alle Straßenlaternen erlöschen auf einmal. Die Zeit, in der die Sonne die Erde beherrscht, kommt rasch näher. An den Bushaltestellen tauchen Menschen auf. Da die Griechen nachmittags eine Siesta einlegen, sind sie schon ziemlich früh unterwegs. Alle beobachten neugierig, wie ich die Straße entlanglaufe. Wahrscheinlich haben sie noch nie einen Ostasiaten gesehen, der im Morgengrauen durch Athen rennt. Athen ist allerdings nicht gerade eine Stadt, die zum Joggen einlädt.
    Bis Kilometer 12 führt die Straße einen leichten Hang hinauf. Kein Lüftchen regt sich. Nach etwa sechs Kilometern ziehe ich mein Hemd aus und laufe mit freiem Oberkörper. Da ich sonst immer angezogen laufe, fühlt es sich wunderbar an (obwohl ich einen schrecklichen Sonnenbrand davontragen werde).
    Erst oben auf dem Hügel scheint die Stadt endlich hinter mir zu liegen. Das ist zwar eine Erleichterung, aber zugleich verschwindet auch der Gehsteig, und an seine Stelle tritt eine weiße Linie, die einen schmalen Streifen von der Straße abtrennt. Der Berufsverkehr beginnt, und die Zahl der Autos nimmt zu. Busse und Lastwagen donnern mit etwa 80 Stundenkilometern an mir vorbei. Der Name Marathon vermittelt zwar einen Hauch von Historie, aber

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