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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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erwartete, dass sie mit Seko als Trainer die neuen Asse würden. Sie waren aus dem Holz, aus dem Olympiasieger geschnitzt werden, und kein Training war zu hart für sie. Eines Sommers jedoch, als sie gemeinsam in Hokkaido trainierten, kamen beide bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Da ich mit eigenen Augen beobachtet hatte, wie hart sie trainierten, war es ein großer Schock für mich, als mich die Nachricht von ihrem Tod erreichte. Es tat mir sehr leid, ein schrecklicher Verlust.
    Ich hatte sie persönlich kaum gekannt und kaum ein paar Worte mit ihnen gewechselt. Erst nach ihrem Tod erfuhr ich, dass beide erst kurz zuvor geheiratet hatten. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass zwischen uns als Langstreckenläufern, die jeden Tag aneinander vorbeiliefen, eine gewisse Verbundenheit bestanden hatte. Auch bei sehr unterschiedlichem Niveau gibt es doch Dinge, die nur Läufer verstehen können, glaube ich.
    Noch heute fallen mir die beiden immer wieder ein, wenn ich durch den Jingu-gaien oder den Akasaka-Palastgarten laufe, und manchmal, wenn ich um eine Ecke biege, bilde ich mir ein, sie würden gleich, weiße Atemwolken ausstoßend, auf mich zukommen. Dann muss ich daran denken, wie anstrengend ihr Training war, und frage mich, was mit ihren Hoffnungen und Träumen geschehen ist. Ob die Gedanken der Verstorbenen einfach verschwinden?
    In der Umgebung unseres Hauses in Kanagawa kann ich ganz anders trainieren als in Tokyo. In der Nähe gibt es, wie schon erwähnt, einen Joggingpfad mit recht steilen Hügeln. Es gibt noch einen anderen Weg, der auch nicht weit entfernt ist und für den man ungefähr drei Stunden braucht; ideale Bedingungen für ein Marathon-Training. Der größte Teil besteht aus einer ebenen Straße, die an einem Fluss und dann am Meer entlang verläuft. Es gibt dort kaum Verkehr und so gut wie keine störenden Ampeln. Und auch die Luft ist im Gegensatz zu Tokyo sauber. Drei Stunden allein dort herumzurennen kann sogar ein wenig langweilig werden, aber ich höre meine Lieblingsmusik dabei und versuche, ganz entspannt vor mich hin zu laufen. Der einzige Nachteil besteht darin, dass es sich um einen Rundweg handelt, das heißt, man kann nicht einfach in der Mitte aufhören, wenn man erschöpft ist, sondern muss, und sei es auf allen vieren, zum Ausgangspunkt zurück. Ansonsten ist es eine angenehme Strecke.
    Lassen Sie mich ein wenig über das Schreiben sprechen.
    In Interviews werde ich bisweilen gefragt, was die wichtigste Eigenschaft für einen Romanschriftsteller sei. Unnötig zu sagen: Seine wichtigste Eigenschaft ist Talent. Ohne literarisches Talent kann man auch mit größter Begeisterung und Anstrengung kein Schriftsteller werden. Talent ist weniger eine wichtige Eigenschaft als vielmehr eine Voraussetzung. Ohne Treibstoff läuft auch der schnellste Wagen nicht.
    Das Problem mit dem Talent ist jedoch, dass sein Besitzer dessen Ausmaße und Qualität nicht bestimmen kann. Man kann es nicht steigern, wenn es eventuell nicht ausreicht, oder sparsam damit umgehen, damit es länger reicht. Talent hat seinen eigenen Willen und quillt über, wann es ihm passt. Und wenn es versiegt, ist das eben das Ende. Genies wie Schubert, Mozart und ein paar Dichter und Rocksänger, deren glanzvolle Begabung sich für kurze Zeit mit Macht entfaltete und deren früher dramatischer und schöner Tod sie zu Legenden machte, haben einen gewissen Reiz, aber die Mehrheit von uns kann ihrem Vorbild nicht folgen.
    Bei der zweitwichtigsten Eigenschaft eines Schriftstellers muss ich nicht lange überlegen:Es ist die Fähigkeit, seine gesamte Begabung auf das im Augenblick Wichtige zu konzentrieren. Wenn ein Künstler dazu nicht in der Lage ist, wird er nichts Bedeutendes schaffen. Gelingt es ihm jedoch, seine Kraft wirkungsvoll zu nutzen, kann das sogar – bis zu einem gewissen Grad – ein mangelndes Talent ausgleichen. Ich widme mich täglich morgens drei bis vier Stunden meiner Arbeit. Während ich am Schreibtisch sitze, richte ich mein Bewusstsein ganz und gar auf das, was ich schreibe. Ich sehe nichts anderes und denke an nichts anderes. Selbst wenn ein Schriftsteller über große Begabung verfügt und es in seinem Kopf von Ideen nur so wimmelt, kann er wahrscheinlich, wenn er zum Beispiel starke Zahnschmerzen hat, nicht schreiben. Der Schmerz behindert seine Konzentration. Das meine ich, wenn ich sage, ohne Konzentration könne nichts entstehen.
    Das Nächstwichtigste beim Schreiben ist Ausdauer. Wer sich bei drei oder

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