Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
gewissen Alter mitunter plötzlich eine große Erschöpfung. »Literarisch ausgebrannt« ist eine recht treffende Beschreibung für diesen Zustand. Ihre Werke können noch immer schön sein. Vielleicht hat diese Art von Erschöpfung sogar einen eigenen Reiz; dennoch ist die nachlassende schöpferische Kraft klar erkennbar. Meiner Ansicht nach rührt diese Schwächung daher, dass ihre körperliche Stärke nicht mehr ausreicht, um das Gift, mit dem sie Umgang haben, zu beherrschen. Ihre physische Vitalität, die dem Gift bis dahin ganz natürlich überlegen war, hat einen Gipfel überschritten und verliert allmählich ihre immunisierende Kraft. Dann wird es für einen Schriftsteller schwierig, weiter kreativ zu bleiben. Das Gleichgewicht zwischen seiner Fantasie und der körperlichen Fähigkeit, die jene unterhält, ist gestört oder sogar zerstört. Danach kann er zwar noch immer die Techniken und Methoden einsetzen, die er bisher kultiviert hat, und sozusagen mit der Restwärme etwas zusammenschmelzen, das aber nur noch die äußere Form eines Werkes hat. So etwas ist immer äußerst mittelmäßig geschrieben und bedeutet bestimmt keine sehr erfreuliche Erfahrung. Einige Schriftsteller nehmen sich an diesem Punkt das Leben. Andere geben das Schreiben auf und folgen einem neuen Weg.
Nach Möglichkeit will ich diese »literarische Erschöpfung« vermeiden. Die Literatur, die ich mir vorstelle, ist spontaner, vereinnahmender, mehr auf einen Mittelpunkt gerichtet. Sie soll eine natürliche, vorwärtsgewandte Vitalität besitzen. Einen Roman zu verfassen, heißt für mich, einen steilen Berg zu besteigen, Felswände zu erklimmen und nach langem, heftigem Ringen den Gipfel zu erreichen. Man überwindet sich oder versagt – entweder oder. Dieses Bild halte ich mir stets vor Augen, wenn ich an einem Roman schreibe.
Dass man irgendwann versagen wird, versteht sich von selbst. Jeder Körper ist dem Verfall unterworfen, ob es einem nun passt oder nicht. Früher oder später ist er besiegt und verschwindet, und wenn der Körper zerfällt, geht (höchstwahrscheinlich) auch der Geist verloren. Dessen bin ich mir wohlbewusst. Dennoch habe ich den Wunsch, den Zeitpunkt, an dem meine Vitalität unterliegt und das Gift überwiegt, so lange wie möglich hinauszuzögern. Das ist mein Ziel als Schriftsteller. Jedenfalls habe ich im Moment keine Zeit, »ausgebrannt« zu sein. Auch wenn man über mich sagt »der Mann ist kein Künstler«, laufe ich weiter.
Am 6. Oktober habe ich einen Vortrag am Massachusetts Institute of Technology. Deshalb habe ich heute beim Laufen geübt (nicht laut natürlich) und statt Musik zu hören im Kopf auf Englisch vor mich hingeflüstert.
Wenn ich in Japan bin, habe ich kaum Gelegenheit, vor Publikum zu sprechen. Ich halte keine Reden. Inzwischen habe ich jedoch schon häufig Vorträge und Lesungen auf Englisch gehalten, und wenn es sich ergibt, werde ich es auch in Zukunft wieder tun. Es ist sonderbar, aber wenn ich vor Publikum spreche, fällt es mir auf Englisch leichter (obwohl mein Englisch noch immer ziemlich holprig ist) als auf Japanisch. Vermutlich liegt es daran, dass ich, wenn ich auf Japanisch über ein ernsthaftes Thema sprechen muss, von einem Meer von Worten verschlungen werde. Es gibt eine endlose Auswahl und grenzenlose Möglichkeiten. Als Schriftsteller habe ich eine sehr enge Beziehung zu meiner Muttersprache. Wenn ich vor einer größeren Menge von Menschen Japanisch sprechen soll, verwirrt mich dieser überschäumende Ozean von Wörtern so sehr, dass ich völlig frustriert bin.
Was das Japanische angeht, so will ich möglichst an meiner Gewohnheit festhalten, allein am Schreibtisch zu sitzen und in dieser Sprache zu schreiben. Auf diesem vertrauten Terrain kann ich Worte und Zusammenhänge wirksam erfassen und ihnen eine Form verleihen – vor allem darin besteht meine Arbeit. Doch wenn ich versuche, vor Publikum darüber zu sprechen, fürchte ich, zu einem Gefangenen zu werden, und habe immer das verstörende Gefühl, etwas (sehr Wichtiges) ginge verloren. Ich kann diese Art der Entfremdung nicht akzeptieren. Der Hauptgrund jedoch, aus dem ich ungern vor Leuten spreche, ist folgender: Ich möchte nicht, dass mein Gesicht öffentlich bekannt wird – denn ich will nicht auf der Straße angesprochen werden.
Aber wenn ich meine Rede in einer fremden Sprache schreibe, ist die mir zur Verfügung stehende Auswahl an Worten und Möglichkeiten zwangsläufig begrenzt. (Ich lese sehr gern
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