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Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede

Titel: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Mit steigender Sonne wird es warm, und die Läufer schälen wie schlüpfende Insekten eine Kleidungsschicht nach der anderen von sich ab. Ich behielt bis zum Schluss meine Handschuhe an, und in meinem ärmellosen Trikot war es mir etwas zu kalt.
    Bei Regen hätten wir richtig gefroren, aber glücklicherweise fiel trotz des dicht bewölkten Himmels den ganzen Tag über kein Tropfen.
    Der Lauf führt um den Saroma-See, der am Ochotskischen Meer liegt. Erst wenn man die Strecke läuft, erkennt man, wie groß der See ist. In Wakibetsu am Westufer ist der Start, und das Ziel liegt an der Ostseite in Tokoro (das inzwischen in Hokumi umbenannt wurde). Der letzte Teil (von Kilometer 85 bis 98) führt durch den Wakka-Wildblumenpark, einen ausgedehnten Naturpark an der Küste. Die Strecke ist wunderschön – vorausgesetzt, man kann es sich erlauben, die Aussicht zu genießen. Sie ist ganz für den Verkehr gesperrt, aber da es in der Gegend ohnehin kaum Autos oder Menschen gibt, wäre das vielleicht gar nicht nötig. Am Straßenrand grasen träge die Kühe. Sie zeigen kaum Interesse an den Läufern. Sie sind zu beschäftigt mit Grasen, um sich um diese verrückten Menschen und ihr unsinniges Tun zu kümmern. Die Läufer ihrerseits haben nicht die Muße, den Kühen ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Nach Kilometer 42 gibt es alle 10 km einen Kontrollpunkt, und wer die vorgegebene Zeitgrenze überschreitet, ist automatisch disqualifiziert. Das passiert in jedem Jahr ziemlich vielen Läufern. Die Maßstäbe bei diesem Turnier sind sehr streng. Da ich eigens deshalb in den hohen Norden Japans gereist bin, will ich auf keinen Fall auf halber Strecke zur Aufgabe gezwungen sein. Ganz gleich wie, ich will die vorgegebene Zeit schaffen.
    Dieser Ultramarathon ist einer der ältesten in Japan und wird routiniert von Einheimischen organisiert. Alles läuft glatt. In dieser Hinsicht ein sehr angenehmer Lauf.
    Über den Abschnitt bis zur ersten Raststation bei Kilometer 55 habe ich nicht viel zu erzählen. Ich lief einfach stumm vor mich hin. Im Grunde war es nicht viel anderes als ein langes Training am Sonntagmorgen. Ich hatte errechnet, dass ich bei einem Schnitt von sechs Minuten pro Kilometer etwa zehn Stunden für die gesamte Strecke brauchen würde. Zusätzlich der Pausen zum Ausruhen und Essen würde ich unter elf Stunden bleiben. (Erst später wurde mir klar, wie optimistisch diese Einschätzung war.)
    Bei Kilometer 42 stand ein Schild mit der Aufschrift »Strecke des Marathonlaufs«, und eine weiße Linie markierte den genauen Punkt. Als ich sie überschritt, überlief mich – übertrieben ausgedrückt – ein kalter Schauer, denn es war das erste Mal, dass ich länger laufen würde als 42 Kilometer. Für mich war dies die Straße von Gibraltar. Jenseits von ihr lag ein unbekanntes Meer. Ich hatte keine Ahnung, was mich dort erwartete oder welche unbekannten Wesen dort lebten. Auf meine Weise verspürte ich eine ähnliche Furcht, wie die Seefahrer sie wohl früher empfanden.
    Als ich mich Kilometer 50 näherte, verspürte ich eine leichte körperliche Veränderung, als würde meine Beinmuskulatur sich verhärten. Außerdem hatte ich Hunger und Durst. Ich hatte mich dazu ermahnt, an jeder Wasserstation zu trinken, ob ich durstig war oder nicht, dennoch verfolgte mich der Durst wie ein unglückliches Schicksal, wie die Königin der Nacht mit dem schwarzen Herzen. Leichte Unsicherheit beschlich mich. Konnte ich, wenn ich mich schon nach der Hälfte der Strecke so fühlte, überhaupt die ganzen 100 Kilometer schaffen?
    An der Raststation bei Kilometer 55 aß ich die Wegzehrung, die meine Frau für mich vorbereitet hatte. Da die Sonne nun höher stand und es wärmer war, zog ich meine Radlerhose aus und ein frisches Hemd und frische Shorts an. Ich tauschte meine New-Balance-Ultra-Marathon-Spezialschuhe (Sie können mir glauben, so etwas gibt es wirklich auf dieser Welt) der Größe 8 gegen die gleichen in Größe 81/2. Meine Füße waren geschwollen, und ich brauchte größere Schuhe. Da es die ganze Zeit bewölkt war, beschloss ich, die Mütze abzusetzen, die ich zum Schutz gegen die Sonne trug. Sie sollte auch dazu dienen, mich warm zu halten, falls es regnen sollte, aber im Augenblick sah es nicht danach aus. Es war weder zu heiß noch zu kalt. Ideale Bedingungen für einen Langstreckenlauf. Ich spülte zwei Kapseln mit Nahrungsgel hinunter, trank und aß ein Butterbrot und einen Keks. Ich machte ein paar behutsame Dehnungsübungen

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