Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
Rhythmus und eine vollkommen natürliche Melodik. Mein Bewusstsein wird sacht in die Musik hineingesogen, und meine Füße laufen im Takt. Hin und wieder wird der musikalische Fluss aus meinen Kopfhörern von einem Ruf unterbrochen: »Achtung, links!« Und ein Rennrad saust links an mir vorbei.
Beim Laufen kommen mir immer viele Gedanken über das Schreiben.
Ab und zu stellt mir jemand die Frage: »Herr Murakami, wo Sie so ein gesundes Leben führen, könnte es da nicht sein, dass Sie irgendwann nicht mehr schreiben können?« Im Ausland ist das selten, aber in Japan scheinen viele Menschen der Meinung zu sein, dass Literatur und ein gesunder Lebensstil nicht zusammenpassen. Schriftsteller gelten als dekadent und sollten daher möglichst nicht gesund leben. Dadurch heben sie sich von der gewöhnlichen Welt ab und erlangen eine gewisse Reinheit, die künstlerischen Wert hat – eine in Japan verbreitete Vorstellung, die sich hartnäckig hält. Das Bild vom Künstler als einem kränklichen (dekadenten) Menschen scheint weit zurückzureichen. Filme und Fernsehdramen präsentieren häufig dieses Stereotyp oder, positiv ausdrückt, diese Legende.
Grundsätzlich pflichte ich der These bei, dass Schreiben eine ungesunde Tätigkeit ist. Wenn man einen Roman schreibt, also eine Geschichte konzipiert, wird tief im Innern des menschlichen Wesens eine Art Gift abgesondert, das dann zur Oberfläche steigt. Jeder Schriftsteller ist mehr oder weniger mit diesem Gift konfrontiert und muss kenntnisreich und geschickt damit umgehen. Denn ohne die Vermittlung dieses Giftes kann kein kreativer Akt im wirklichen Sinne stattfinden. (Verzeihen Sie das bizarre Beispiel, aber es ist wie bei einem Fugu, dessen schmackhafteste Stelle sich dort befindet, wo das Gift am nächsten ist.) Wie man es auch dreht und wendet: Eine »gesunde« Tätigkeit ist Schreiben jedenfalls nicht.
Künstlerisches Schaffen umfasst also von vorneherein ungesunde und antisoziale Elemente. Das gebe ich gern zu. Daher gibt es unter Schriftstellern und Künstlern nicht wenige, deren Leben auf dieser Ebene durchaus etwas Dekadentes hat oder die sich gesellschaftsfeindlich geben. Auch das kann ich verstehen. Besser gesagt, ich leugne diese Position nicht.
Ich finde jedoch, wenn man vorhat, lange und immer wieder Romane zu schreiben, muss man ein Autoimmunsystem entwickeln, das dem gefährlichen (bisweilen sogar tödlichen) Gift im Inneren widersteht. Dadurch versetzt man sich in die Lage, auch stärkere Gifte wirklich wirksam abzubauen. Mit anderen Worten, man kann noch bedeutendere Geschichten entstehen lassen. Um aber ein solches Immunsystem zu schaffen und über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten, braucht man mehr als nur halbherzige Energie, und die muss man irgendwoher nehmen. Gäbe es dafür eine bessere Quelle als unsere fundamentale eigene Körperkraft?
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich behaupte nicht, dass mein Weg der einzig richtige für einen Schriftsteller ist. Ebenso wie es verschiedene Arten von Literatur gibt, gibt es auch verschiedene Arten von Schriftstellern. Und jeder von ihnen hat seine eigene Weltsicht. Ihre Methoden unterscheiden sich, und ihre Ziele ebenfalls. Es versteht sich von selbst, dass so etwas wie ein Weg des Schriftstellers nicht existiert. Aber wenn ich für mich sprechen darf: Um größere Schaffenskraft zu erlangen, muss man seine körperliche Kraft steigern, und es lohnt sich, etwas dafür zu tun (zumindest ist das besser, als nichts zu tun). Es ist eine Binsenweisheit, aber es heißt, etwas zu tun, lohne sich nur, wenn man auch sein Bestes tue (in manchen Fällen muss es auch ein bisschen mehr als das Beste sein).
Ein Mensch, der häufig Umgang mit Ungesundem pflegt, sollte so gesund wie möglich sein. Meine These lautet: Ein ungesunder Geist braucht einen gesunden Körper. Das klingt vielleicht paradox. Doch seit ich Schriftsteller bin, habe ich dies immer wieder sehr stark auch am eigenen Leib empfunden. Das Gesunde und das Ungesunde sind nicht unbedingt unvereinbare Gegensätze. Sie widersprechen einander nicht, sondern können sich ergänzen. In einigen Fällen verbinden sie sich sogar auf ganz natürliche Weise. Eine Polarisierung – Menschen auf dem Gesundheitstrip, die an nichts anderes mehr denken, oder solche, die sich nur mit Krankheiten beschäftigen – kann höchst unfruchtbar sein.
Autoren, die in ihrer Jugend außergewöhnliche, schöne, kraftvolle Werke geschrieben haben, überkommt in einem
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